Der Künstler, nach dem dieses Mal gesucht wird, war äußerst vielseitig. Er brillierte sowohl als Zeichner (unter anderem gibt es von ihm sogar schon Karikaturen), als Maler, als Bildhauer und als Architekt. Darüber hinaus hat er einen der großartigsten Plätze so geschickt entworfen, dass die – an sich nicht glücklichen Proportionen des Gebäudes, auf das alles an diesem Platz bezogen ist – durch die raffinierte Platzgestaltung nicht unangenehm auffallen.
In diesem Rätsel wird aber nach einer Marmorskulptur gesucht, die der Künstler auf eine überaus faszinierende Art gefertigt hat. Sie ist in allen Einzelheiten sehr differenziert und kleinteilig gestaltet – als ich sie das erste Mal betrachtet habe, konnte ich mir nicht vorstellen, dass es jemand schafft, ein Material wie Marmor so fein zu bearbeiten.
Die Skulpturengruppe besteht aus zwei Figuren – einer jungen, schönen, im Laufen begriffenen Frau und einem ebenfalls jungen Mann, der sie verfolgt. Der Mann hat die Frau gerade erreicht, mit seiner linken Hand umfasst er ihren Leib. Ihr Mund ist geöffnet – sodass es aussieht, als ob sie schreit.
Schaut man genauer hin, dann sieht man, dass der Körper der jungen Frau im unteren Bereich teilweise aus Holz zu bestehen scheint. Aus ihren Händen und Fingern wachsen Lorbeerblätter, und die Hand des jungen Mannes, mit der er die Schöne halten will, berührt nicht etwa Haut sondern Borke.
Der Künstler hat hier eine Szene aus einem alten Mythos dargestellt. Eine Nymphe wird von einem Gott begehrt, sie will sich ihm aber nicht hingeben. In ihrer Not ruft sie die Mutter Erde an – in einer anderen Erzählung ist es ein Flussgott, den sie um Hilfe bittet. In jedem Fall wird die junge Frau aber in einen Lorbeerbaum verwandelt, sodass der Gott ihr nichts anhaben kann.
Der Künstler hat hier tatsächlich etwas ganz außerordentliches geschaffen. Er macht etwas sichtbar, was an sich erst einmal unmöglich erscheint – er zeigt in dieser Skulpturengruppe einen vollständigen zeitlichen Ablauf. Beginnt man mit der Betrachtung auf der Seite, auf der der Gott zu sehen ist, dann sieht man den jugendlich schönen Mann im Laufen begriffen. Sein Körper ist nach vorn gerichtet, sodass man deutlich sieht, dass er rennt. So, wie er hier dargestellt ist, würde er fallen, wenn er nicht im Laufen begriffen wäre. Schon das ist also sehr gekonnt gelöst.
Noch faszinierender aber ist die Tatsache, dass die Verwandlung der Nymphe in den Lorbeerbaum tatsächlich vollständig ablesbar ist. Auch sie ist an sich im Laufen begriffen, aber durch die Verwandlung in den Baum wird sie gestoppt. Ein Bein ist noch fast vollständig als Bein erkennbar, bei dem anderen beginnt schon die Verwandlung, und nach oben hin wird die Schöne immer mehr zum Baum.
Wer ist der Künstler und um welche Skulpturengruppe handelt es sich hier? Und welchen Platz hat er so raffiniert gestaltet, dass das große Gebäude trotz an sich schlechter Proportionen gut aussieht.
Und da die Lösung beim letzten Rätsel eine Skulpturengruppe von Giacometti war, gibt’s als Preis dieses Mal eine Zeichnung, die ich vor einigen Jahren in der Fondation Beyerle von Giacometti Figuren mit zufällig im Raum befindlichen Besuchern gemacht habe
Wer richtig geraten hat, nimmt an der Verlosung der Zeichnung unten teil.
Rainer Grimm