Deutsche Künstler sehen Italien XI

Dr. Rainer Grimm

01.06.2021

Liebe Kunstfreundinnen und –freunde,

im heutigen Brief geht es nun wieder nur um Künstler – dabei werden zwei Bildhauer und ein Maler etwas genauer betrachtet werden. Die drei sind die beiden Bildhauer Bertel Thorvaldsen und Rudolf (Ridolfo) Schadow, dazu kommt dessen Bruder, der Maler Friedrich Wilhelm (von) Schadow. Rudolf und Wilhelm sind Söhne des bedeutenden Bildhauers Johann Gottfried Schadow (1764 – 1850). Von Wilhelm ist auch das folgende Bild der drei Künstler. Da im Hintergrund zwischen Rudolf Schadow und Bertel Thorvaldsen die Skulptur der ‚Sandalenbinderin‘ von Rudolf Schadow und ganz rechts ein Teil eines Landschaftsbildes, vermutlich von Wilhelm Schadow zu sehen sind, kann man annehmen, dass es aussehen soll, als ob es im Atelier der beiden Brüder entstanden sei.

Die Profession der drei ist gut erkennbar, Rudolf auf der linken Seite hebt mit der linken Hand einen Hammer, Thorvaldsen hält ein Modellierwerkzeug und Wilhelm Schadow hat sich selbst mit Palette wiedergegeben. Ich denke, dass die Verbundenheit der drei gezeigt werden sollte. Die Brüder reichen sich die Hand, Thorvaldsen in der Mitte schaut zu Rudolf und fasst mit der linken Hand Wilhelm an die Schulter. So entsteht eine innige Beziehung zwischen ihnen. [Wie alle Abbildungen ist auch dieses Bild von Wikipedia, der freien Enzyklopädie übernommen.]

Das Bild ist vermutlich 1816 entstanden – Thorvaldsen war also schon etwa 46, Rudolf 30 und Wilhelm Schadow 28 Jahre alt. Dass zwischen den Brüdern und dem ja immerhin schon sehr erfolgreichen Bildhauer ein recht großer Altersunterschied besteht, kann man den Gesichtern nicht ansehen. Vielleicht wollte Schadow dem berühmten Thorvaldsen damit ein wenig schmeicheln.

Der bedeutendste dieser drei ist tatsächlich Bertel Thorvaldsen (1770 – 1844), ein Däne, in Kopenhagen geboren. Sein Vater war Holzschnitzer, so hat der kleine Bertel sicher schon etwas bei ihm lernen können. Bereits mit elf Jahren kam er zur ‚Freischule der Königlich Dänischen Kunstakademie. Er scheint eine hohe Begabung gezeigt zu haben, jedenfalls erhielt er schon als Jugendlicher einige Auszeichnungen. Früh versuchte er, seine Ausbildung in Rom fortsetzen zu können, aber es dauerte bis 1896, bis er endlich ein dreijähriges Stipendium in der ‚ewigen Stadt‘ bekam. Am 8. März 1797, mit 26 Jahren, zog er nach Rom, wo er die längste Zeit seines Lebens bleiben sollte. Über seine Ankunft in Rom war er so glücklich, dass er diesen Tag in jedem Jahr als seinen römischen Geburtstag gefeiert hat. Denn Rom blieb, obwohl er immer wieder nach Kopenhagen zurückkehrte, seine eigentliche Heimat. Als er 1844 wieder Kopenhagen besuchte, starb er während einer Theateraufführung. Der Stadt vermachte er sein umfangreiches Erbe – neben eigenen Arbeiten auch eine große Sammlung von Bildern, die er von zeitgenössischen Künstlern erworben hatte. Sie werden in einem Museum, das seinen Namen trägt, gezeigt.

Das Selbstbildnis auf der linken Seite zeigt ihn als einen jungen Mann. Dem Zeitgeist angemessen trägt er sein Haar recht lang. Für mich stellt er sich mit den großen Augen, dem fordernden Blick, den wilden Locken und scharfen Konturen als ein junges Genie dar, das schon genau weiß, was es will. Geschickt zeigt er, wie sicher er in der Strichführung ist, und arbeitet mit unterschiedlichen Hell-Dunkel Werten. So lässt er die Fläche neben den dunklen Haaren oben rechts hell – dagegen setzt er unten, neben seinem linken Oberarm eine dunkle Schraffur, die den Arm besser hervortreten lässt. Dazu kommt die ungewöhnliche Haltung: Das Gesicht ist im Halbprofil gezeichnet, aber man sieht über die Schulter hinweg auch einen Teil des Rückens – wodurch der Eindruck entsteht, er sei in Bewegung. Das deutet auf eine eher ‚barocke‘ Haltung des jungen Mannes hin. [Alle Abbildungen sind gemeinfrei bei Wikipedia zu finden.]

Ich muss gestehen, dass ich ihn als Bildhauer nie wirklich geschätzt habe. Seine plastische Arbeit hat mir – wie sicher vielen unserer Zeitgenossen – nicht gefallen. Andere Bildhauerei – vor ihm und nach ihm, etwa von Bernini oder von Rodin – fand ich großartig, aber der Klassizismus eines Thorvaldsen war mir ein Graus. Das hat sich mittlerweile geändert und ich hoffe, dass meine neue Wertschätzung dieses Künstlers auch bei Ihnen zu einer Neubewertung beiträgt.

Er wurde von seinen Zeitgenossen ausgesprochen stark gewürdigt. Das, was ihn zu einem der bedeutendsten Bildhauer seiner Zeit gemacht hat, möchte ich im Folgenden an der Plastik „Jason“ zeigen, die schon 1803 in Künstlerkreisen große Beachtung fand. Es handelte sich zunächst um eine Plastik aus Ton, erst etwa zwanzig Jahre später konnte sie in Marmor ausgeführt werden.

Das Thema stammt aus der griechischen Mythologie – Jason ist ein griechischer Held. Sein Onkel Pelias verlangte von ihm, dass er nach Kolchis fuhr, um von dort das goldene Vlies zu holen. Nach mannigfachen Abenteuern gelang es ihm, mit Medeas Hilfe.

Thorvaldsen zeigt Jason mit dem über den linken Arm gehängten Vlies. Er ist klassisch nackt wiedergegeben. An einem schräg über der Brust liegendem Band hängt, mit dem Griff fast in der Achselhöhle, das Schwert. Dazu trägt Jason einen Helm mit einem Helmbusch, der das Gesicht jedoch nicht bedeckt.

Die Figur ist blockhaft, das heißt, die Größe der Plinthe, der Standfläche der Skulptur, wird an keiner Stelle überschritten. Jason ist im klassischen Kontrapost wiedergegeben. Er steht auf dem rechten Bein, wodurch die stark betonte Hüftlinie über dem Standbein höher liegt als über dem Spielbein. Dagegengesetzt ist die Schrägbewegung der Schulter. Der Arm, der das Vlies trägt, ist angespannt, während der andere Arm den Speer locker, fast lässig auf die Schulter legt. In der Energie entsprechen sich also linker Arm und rechtes Bein – und umgekehrt. So zeigt Thorvaldsen die beiden Seiten des Helden. Er hat gekämpft, das rechte Bein und der linke Arm zeigen noch etwas von dieser Anspannung. Aber nun ist er entspannt und ruht in sich. Ein barocker Bildhauer wie Bernini hingegen hätte Jason wohl im Kampf dargestellt.

Thorvaldsens Jason entspricht in idealer Weise dem, was Winckelmann gefordert hatte, für den  es die höchste Aufgabe der Kunst war, die Schönheit darzustellen. Hierfür fand er die Formel „edle Einfalt und stille Größe“, die er dem Verspielten und Überladenen des Barock und des Rokoko entgegenstellte. Um eine solche Schönheit darstellen zu können, musste man sich nach Winckelmann eben an der griechischen Antike orientieren. „Der einzige Weg für uns, groß, ja, wenn es möglich ist, unnachahmlich zu werden, ist die Nachahmung der Alten“. [Wikipedia Winckelmann]

Thorvaldsen hat sicher den Doryphoros, den Speerträger des griechischen Bildhauers Polyklet, gekannt und sich an ihm orientiert. Aber er hat Eigenes hinzugefügt. Sein Jason blickt energisch zur Seite, Speer und Band stehen im rechten Winkel zueinander. Über dem Arm liegt nicht nur ein Vlies, sondern an dem hängt auch noch der Kopf des Widders, und den Speer trägt Jason fast demonstrativ lässig. Daran lässt sich schon erkennen, dass der Künstler, wie es bei Wiki heißt, auch über einen ‚leisen Humor‘ verfügte.

Der zeigt sich auch in dem folgenden Relief. Dargestellt sind von links nach rechts Vulkanus, Venus, Amor und Mars. Venus war die Frau von Vulkanus – sie betrog ihn aber mit Mars. Und tatsächlich, es wird, schaut man sich das Relief an, deutlich, in welchem Verhältnis die Personen zu einander stehen. Vulkan ist in seine Arbeit versunken, er schmiedet (ausgerechnet) einen Pfeil und ist mit einem Schurz bekleidet. Rechts von ihm sitzt Venus. Sie hält in ihrer rechten Hand einen Pfeil und ist dabei,  ihn in ein Gefäß zu tauchen. Sie schaut sehnsüchtig zurück zu Mars, der vollständig nackt auf der rechten Seite steht. Zwischen Venus und Mars steht noch der kleine Amor, der nach einem Pfeil greift, den Mars ihm gerade geben will – oder er hat vielleicht Mars gerade den Pfeil gereicht.

Zu Füßen von Mars liegt sein Kriegshelm. Es wird also erkennbar – Mars ist hier nicht als Krieger, sondern als Liebhaber unterwegs, und Venus erwartet ihn schon. Amor spielt dabei die Vermittlerrolle – wie es so seine Art ist. Der etwas tumbe Vulkanus schmiedet auch noch die Werkzeuge, die ihn selbst zum Hahnrei machen werden. Wikipedia schreibt über Thorvaldsen: „Die Bedeutung seines Schaffens liegt in der Wiederbelebung der Idylle der antiken Kunst.“  [Wikipedia; Thorvaldsen]  Ich denke, das ist  eine treffende Aussage: Die Antike wird von ihm wiederbelebt, aber dabei erlaubt er sich ein leichtes Augenzwinkern.

Technisch ist das wieder herausragend gelöst. Vor dem kaum vertieften Hintergrund sind die Figuren gut herausgearbeitet. Es ist schon beeindruckend, wie der Künstler das schafft.

Neben Antonio Canova galt Thorvaldsen als der bedeutendste Bildhauer seiner Zeit. Er hatte eine große Werkstatt, in der viele junge Künstler arbeiteten. Und so hat er auch bei diesem Relief – vielleicht – nur den Entwurf und eine Fassung in Ton selbst gemacht. Die endgültige Fassung in Marmor wurde unter seiner Leitung meist von anderen ausgeführt. So machten es auch andere Bildhauer, das war ganz normal.

Der zweite Bildhauer, den ich hier vorstellen möchte, ist Rudolf (Ridolfo) Schadow (1786 – 1822). Ich habe ja zu Beginn schon erwähnt, dass er der Sohn des sehr bedeutenden Künstlers Johann Gottfried Schadow (1764 – 1850) war. Er ist zwar in Rom geboren (daher die italienische Fassung seines Vornamens), seine Kindheit verbrachte er aber in Berlin, wohin seine Eltern kurz nach seiner Geburt zurückgekehrt waren.

Zusammen mit seinem Bruder Friedrich Wilhelm ging er 1810 nach Rom, um dort die Werke großer Künstler zu studieren. Bei Wikipedia steht, dass er zwar unter dem Einfluss von Thorvaldsen stand, aber doch einen eher romantischen Ansatz hatte.

Das lässt sich gut an der Skulptur der Sandalenbinderin zeigen – eine Ansicht von der linken Seite war ja schon auf dem Bild der drei Künstler zu sehen. Die junge Frau hat das rechte Bein auf das Knie gelegt, um sich die Sandale zu binden. Der Kopf ist leicht geneigt – es sieht eigentlich so aus, als ob sie über etwas nachsinnt. So ist das Thema der Skulptur zwar aus der klassischen Kunst übernommen, die Durchführung aber ist eben eher romantisch.

Diese nicht klassizistische Haltung zeigt sich unter anderem auch daran, dass die Skulptur offensichtlich mehrere gute Ansichten hat. Sie ist so konzipiert, dass man beim Wechsel des Standortes immer wieder etwas Neues entdecken kann.

Vergleicht man diese Skulptur etwa mit dem Jason, dann sieht man, dass dieser mit einer einzigen Ansicht alles zeigt, was Thorvaldsen wichtig war. Schadow dagegen zeigt mehrere Ansichten – man wird diese Skulptur gern von verschiedenen Seiten betrachten wollen. Und das ist etwas, was der rein klassizistischen Kunstauffassung widerspricht.

Rudolf Schadow konvertierte 1814 in Rom zum Katholizismus. Vier Jahre später bot man ihm eine Professur an der Düsseldorfer Akademie an – er schlug dieses Amt, das doch sicher sehr verlockend war, aber aus und blieb in Rom. Es heißt, dass er ein sehr geringes Selbstvertrauen hatte, vielleicht war er depressiv und mag sich deswegen die Professur nicht zugetraut haben. Vielleicht wollte er aber einfach nur in Rom bleiben.

1822, also mit nur 36 Jahren starb er in Rom an einer Lungenentzündung und wurde – wie schon Angelika Kauffmann in der Kirche Sant‘Andrea delle Fratte begraben. Das Begräbnis in einer Kirche, eine Ehre, zeigt, dass er offensichtlich eine starke Beziehung zur katholischen Kirche hatte.

Sein nur zwei Jahre jüngerer Bruder Friedrich Wilhelm (von) Schadow (1788 – 1862) ist dagegen recht alt geworden. Als er 1810 mit Rudolf nach Rom kam, schloss er sich bald den Nazarenern unter Friedrich Overbeck und Peter Cornelius an. Natürlich konvertierte auch er unter dem

Einfluss von Overbeck zum Katholizismus (Cornelius, der ja schon katholisch getauft war, regte sich darüber auf „und äußerte seinen Ärger über die häufigen Bekehrungen mit den köstlichen Worten: „Wenn ihr nicht endlich aufhört, überzutreten, so werde ich noch Protestant.“) [Friedrich Noack: Deutsches Leben in Rom S.160]

Aber da Friedrich Wilhelm Schadow nun einmal den Nazarenern angehörte und als ein guter Künstler angesehen war, wurde auch er dazu eingeladen, die Villa von Bartholdy mit Fresken auszuschmücken. Also arbeitete er dort zwischen 1816 und 1818 zusammen mit Cornelius, Overbeck und Veit. In früheren ‚Briefen‘ wurden ja schon mehrere dieser Fresken vorgestellt. Das Gesamtthema war die Josefgeschichte, und Schadow übernahm die Traumdeutung Josefs im Gefängnis.

Auf dem hochrechteckigen Fresko sind im Vordergrund Josef und die beiden Mitgefangenen zu sehen. Josef steht auf der linken Seite, er lehnt sich leicht an eine Brüstung, die linke Hand ist zum Redegestus erhoben. Er scheint als einziger völlig entspannt zu sein.

Der sitzende Mann in der Mitte wirkt dagegen niedergeschlagen, es handelt sich wohl um den Oberbäcker, der gerade gehört hat, dass er in drei Tagen hingerichtet werden soll.

Der andere Mann muss dann der Mundschenk sein – er weiß noch nicht, wie sein Traum gedeutet werden wird. Seine Körperhaltung und der erhobene Arm zeigen deutlich, dass er seinen Traum erzählt und nun von Josef die Deutung erhalten will.

Karl Friedrich Schinkel holte Friedrich Wilhelm Schadow schon 1819 nach Berlin zurück, denn er sollte an der Berliner Kunstakademie eine Dozentur übernehmen. In Italien lebte er danach nicht mehr – seinen Aufenthalt in Rom hatte er, wie andere auch, dazu genutzt, in der Heimat eine gut dotierte Stellung zu erlangen.

Im nächsten ‚Brief‘ geht es vor allem um zwei Hannoveraner – das muss hier einfach mal sein. Bis dahin…. cordiali saluti.

Rainer Grimm