Deutsche Künstler sehen Italien VI

Dr. Rainer Grimm

31.12.2020

Liebe Italien- und Kunstfreundinnen und -freunde,

im letzten Brief ging es mit Asmus Jacob Carstens und Joseph Anton Koch um zwei Künstler, die beide dem Klassizismus nahestanden, aber jeweils ganz unterschiedliche Schwerpunkte gesetzt haben. Verkürzt kann man sagen, dass Carstens die klassische Mythologie in die Gegenwart überführte, während Koch mit seinen ‚heroischen Landschaften‘ eine Vergangenheit heraufbeschwor, in der die Menschen noch im Naturzustand lebten.

Heute geht es um einen anderen ‚Landschafter‘, das war die Bezeichnung, die sich die Landschaftsmaler selbst gaben. Neben Koch ist Johann Christian Reinhart der bedeutendste und bekannteste (im letzten Brief habe ich am Schluss eine Karikatur abgedruckt, auf der er zu sehen war).

Johann Christian Reinhart, 1761 Hof (Niederbayern) – 1847 Rom

Da Reinhart wie Carstens Protestant war, wurde er ebenfalls auf dem Cimitero acattolico begraben. Er stammte – im Unterschied zu Koch – aus einer Familie, die innerhalb der Stadt schon etwas aufgestiegen war. So konnte er das städtische Gymnasium besuchen und danach zunächst Theologie in Leipzig, studieren. Aber schon bald gab er das Studium auf, um sich ganz der Kunst zu widmen. Dazu ging er nach Dresden, wo er hauptsächlich bei einem Landschaftsmaler studierte, außerdem konnte er auf die reichhaltige Gemäldesammlung in Dresden zurückgreifen. Das war für die damaligen Künstler wichtig, da sie so neben der Ausbildung schauen konnten, wie die Großen es ihnen vorgemacht hatten.

Im Sommer 1785 lernte er in Gohlis, einem kleinen Dorf bei Leipzig, Friedrich Schiller kennen, und die beiden wurden Freunde. In seinen späteren Jahren in Rom hat er immer wieder versucht, Schiller nach Italien zu locken. Er soll auch der Meinung gewesen sein, Schiller wäre nicht schon 1805 gestorben, wenn er diesem Lockruf gefolgt wäre.

Es gibt eine berühmte Zeichnung von Reinhart, die Schiller auf einem Esel sitzend zeigt. Reinhart ist erst etwa 24 Jahre alt – Schiller zwei Jahre älter – und da legt er eine solch bravouröse Zeichnung hin!

Schon an dieser Zeichnung kann man erkennen, was auch für seine Arbeiten in Italien gilt. Er kann eine Situation schnell erfassen – und dann ist er auch noch in der Lage, diesen Moment schnell und höchst präzise aufs Papier zu bannen. Dazu kommt noch etwas, was ihn auch in seinen Texten auszeichnet – er hat Witz!

Und sein Witz ist manchmal durchaus scharf, was bei seinen späteren Auseinandersetzungen, etwa mit den ‚Lukasbrüdern‘ in Rom, deutlich wird.

Reinhart war auch sehr belesen – in einer (übrigens lesenswerten) Biographie über ihn führt der Autor, Dieter Richter, einen Teil der Bücher an, die der Künstler besaß. Das sind „Titel aus den Bereichen Theologie, Philosophie, Ästhetik, Geschichte und vor allem Literatur“. (Dieter Richter: Von Hof nach Rom; ein deutscher Maler in Italien, eine Biographie; Transit 2010) Wie viele und welche der Bücher er mit nach Rom genommen hat, lässt sich nicht mehr feststellen, aber immerhin konnte er mit der Postkutsche reisen, weil der Markgraf von Ansbach-Bayreuth ihm ein Stipendium ausgesetzt und Reisegeld dazu getan hatte.

In Rom lebte er sich schnell ein. Neben der Stadt und ihren Kunstschätzen begeisterte ihn vor allem die Umgebung von Rom. Er war nicht nur ein guter Künstler, er war auch ein großer Jäger und, wie alle Biographen betonen, auch ein Trinker und Frauenheld. Friedrich Theodor Vischer schrieb 1839 über den fast achtzigjährigen Künstler, er „sei so rüstig, dass er jetzt noch in dieser kalten Nässe Sommerhosen trägt und zwei Flaschen trinkt, wo wir Jungen eine.“

Er war von Herzen ein klassizistischer Maler und suchte, wie auch andere es taten, in der Natur Stellen aus, die seinem Ideal entsprachen, dort zeichnete er sie, machte vermutlich auch Farbskizzen, doch die Bilder entstanden dann im Atelier, wo die einzelnen Naturfragmente ‚ideal‘ zusammengesetzt wurden.

Das kann man gut an der ‚Ideallandschaft‘ von 1811 erkennen.

Große Bäume auf der linken und rechten Seite bilden den Rahmen für das eigentliche Geschehen. In der Mitte lagert ein in historische Gewänder gekleidetes Paar an einer Art Brunnen, der aus sorgfältig behauenen Steinen zusammengesetzt ist. Im Hintergrund sieht man einen dorischen Tempel und Teile einer Stadtanlage oder eines antiken Palastes. Alles sieht sehr gepflegt aus – es ist ein ideales Arkadien, das der Künstler hier imaginiert.

Aber solche Bilder waren natürlich sehr aufwändig – und so waren sie sicher auch entsprechend teuer. Dazu ist anzunehmen, dass Romtouristen vermutlich auch eher realistische Ansichten der italienischen Landschaft haben wollten als solche klassizistisch angehauchten.

Reinhart konnte davon also nicht leben, zudem war das Stipendium, das er vom Markgrafen erhalten hatte, bald ausgelaufen. Er löste das Problem dadurch, dass er Druckgrafik machte, denn Drucke konnten entschieden leichter verkauft werden. Er perfektionierte das noch dadurch, dass er Kupferplatten an Händler in Deutschland schickte, wo die Blätter gedruckt und anschließend verkauft werden konnten.

Die Radierung auf der rechten Seite – sie zeigt ein Grabmal in der zerstörten etruskischen Stadt Falerium – lässt sehr schön erkennen, was Reinhart auszeichnet. Feinste Abstufungen in den Hell-Dunkelwerten und eine präzise Schilderung von Blattwerk im Unterschied zu den Steinen. Dazu kommt die bedrohliche Stimmung, die durch die tiefhängenden Wolken erreicht wird.

Typisch für den Künstler ist auch, dass er immer eine Staffagefigur in das Bild einbezieht. Aber – wie man schon beim Bild von Schiller sehen konnte – seine Figuren sind sehr gekonnt in die Landschaft eingefügt. Hier ist es ein reitender Hirte, der einige Ziegen vor sich hertreibt.

Dieser Druck (er selbst nannte diese Radierungen ‚mahlerisch radirte Prospecte‘) zeigt auch schön, dass der Übergang vom Klassizismus zur Romantik bei ihm schon gut zu erkennen ist.

Sein Geldmangel nötigte ihn dazu, dass er 1808 den bayrischen König Maximilian bat, ihn „als einen anspachischen Unterthan in Allerhöchstedero Dienste aufzunehmen und mit einer jährlichen Pension zu beglücken“. Der König reagierte lange Zeit nicht auf dieses Gesuch. So erhielt Reinhart erst 1821 eine finanzielle Zuwendung und wurde 1825 zum Königlich Bayrischen Hofmaler ernannt. Der Sohn Maximilians, Ludwig, besuchte Rom häufig. Als er den Thron bestiegen hatte, kaufte er mehrere Bilder von Reinhart und gab ihm den Auftrag, vier Ansichten von seinem Wohnsitz in Rom, der Villa Malta, aus zu malen.

Das waren nun wirkliche ‚Prospekte‘ – d. h. sie sollten genau das abbilden, was man vom Turm aus sehen konnte. Reinhart passte das offensichtlich gar nicht. Es widersprach genau dem, was ihn an der Kunst interessierte. Dass er diesen Auftrag nicht gern ausführte, kann man auch daran sehen, dass er für die vier Bilder insgesamt sieben Jahre brauchte.

Ludwig hatte sich vorgestellt, die Bilder sollten in seiner neuen Residenz in München so angebracht werden, dass er die Illusion haben könnte, in seinem geliebten Rom zu sein.

Dies ist die Ansicht in westlicher Richtung. Man schaut in der Nähe auf Dächer, an der rechten Seite sieht man die Türme der ‚Trinità dei Monti‘ (das ist die Kirche oberhalb der ‚Piazza di Spagna‘), links davon folgt die Fassade von San Carlo al Corso und gleich daneben sieht man in der Ferne den Petersdom. Man kann sich also vorstellen, dass es genau die Ansicht in westlicher Richtung ist und dass der König sich das so vorgestellt hatte.

Die vier Bilder sind heute Prunkstücke der Münchner Pinakothek, doch es ist anzunehmen, dass es Reinhart gar nicht so gut gefunden hätte, ausgerechnet mit ihnen in Erinnerung zu bleiben.

Neben seiner bildnerischen Tätigkeit war der Künstler auch ein guter ‚Cicerone‘. Besucher in Rom wurden gern von ihm durch die Stadt geführt. Da er mehr als fünfzig Jahre in der Stadt lebte und auch eine Römerin geheiratet hatte, sprach er sehr gut Italienisch und konnte so Fremden zur Seite stehen.

Über all das hinaus war er auch noch ein guter Dichter und ein Freigeist, was sich beispielweise in diesem kurzen Text zeigt:

„Die Wegsäule
Still steh ich, o Wandrer, doch zeig ich den Weg Dir, ich gleiche Deinem Priester, auch er geht nicht den Weg, den er zeigt.

An sich hatte ich vor, in diesem Brief im Anschluss an Reinhart noch allgemein auf das Leben in der römischen ‚Künstlerrepublik‘ einzugehen, aber damit würde der Brief doch zu lang werden. Reinhart ist schließlich ein so wichtiger Künstler, dass er etwas größer hat abgehandelt werden müssen.

Rainer Grimm