Capri, Kampanien

Renate Oswald

Im Urlaub zieht es mich immer wieder nach Italien, wo ich vor Ort mein Interesse an Römischer Geschichte mit dem Kennenlernen schöner Landschaften verbinden kann. Die typische Touristen­Tour auf Capri zu den Augustus­Gärten, der Via Krupp und dem Aussichtspunkt mit Blick auf die Faraglioni­Felsen kannte ich schon und auch die Blaue Grotte; nun wollte ich einiges aus einem anderen Blickwinkel heraus betrachten.

Aus dem Blickwinkel der Literaten und Kaiser

In der Altsteinzeit war die Insel noch Teil der sorrentinischen Halbinsel; während der letzten Eiszeit wurde der aus Dolomit und Kalk bestehende Felsen abgetrennt. Obwohl es Funde aus dem Paläolithikum gibt, tritt Capri erst mit der Besiedlung der Griechen im 7. Jh. v. Chr. ins Geschichtsbewusstsein. Publik aber machte Kaiser Augustus das Eiland. So fasziniert war er von der Insel, die er auf dem Rückweg vom Feldzug gegen Kleopatra kennen gelernt haben soll, dass er sie gegen das viel fruchtbarere Ischia eintauschte. Zentrum der Macht wurde Capri unter seinem Nachfolger Tiberius, der in der Zeit von 26–37 n. Chr. von hier aus die Geschicke des Römischen Reiches lenkte; geflüchtet aus Rom vor den Erinnerungen, Intrigen, Auseinandersetzungen.

Für Goethe war die Fahrt nach Capri der reinste Horror, er hat die Insel nie betreten. Seekrankheit und ein manövrierunfähiges Schiff verleideten ihm die nach seinen Worten „gefährliche Felseninsel“, die Maxim Gorki einen „prunkvollen Tempel an einem Festtag“ nannte und sich André Gide „geheimnisvoll schwebend auf durchsichtigem Wasser“ präsentierte.

Heute klingt das etwas profaner: „Wenn bei Capri die rote Sonne im Meer versinkt“, lässt die Reiseleiterin im Bus dudeln. Wir würden lieber noch in den Betten versinken: aber Abfahrt ist um 7.15 Uhr in Sorrent; für Capri muss man früh aufstehen. Die Überfahrt dauert ca. 40 Minuten. Wir sind natürlich nicht allein: die Welt trifft sich auf Capri – das Schiff ist voll mit Leuten aller möglichen Nationalitäten. Bei der Ankunft im quirligen, überlaufenen Marina Grande müssen wir auf die Mini­Spezialbusse warten. Diese Busse sind Extra­Anfertigung von Mercedes für die engen Straßen von Capri.


Abseits der Touristenströme zu Tiberius und Villa Jovis

Die Villa Jovis lockt, die Villa des Kaisers Tiberius auf dem 335 m hohen Monte Tiberio. Ich habe mich von der Gruppe getrennt und bin allein unterwegs, wandere an ruhigen Villen und Gärten vorbei. Hin und wieder begegnen mir Einheimische; es wird gegrüßt: ein buon giorno ist selbstverständlich hier abseits der Touristenmeile an diesem Sonntagmorgen. Kein Autoverkehr stört die Stille, nur für einen Elektrokarren muss ich kurz Platz machen. Beim Lösen des biglietto werde ich gefragt: „English?“ – „No, sono tedesca“ und werde daraufhin sofort wieder auf Deutsch angesprochen. Man gibt sich Mühe. 7.000 qm beträgt die Fläche der Villa Jovis inkl. Gärten, Thermen; ca. 300 Räume hatte diese. Alles wirkt ein wenig düster. Durch die Marmorverkleidungen im Originalzustand wird es anders gewesen sein; obwohl – dieses Düstere würde zu Tiberius passen.

Imposant ist der Ausblick bei der Villa. Von dort oben soll der zum Misanthropen gewordene Kaiser also Feinde und Lustknaben ins Meer haben stürzen lassen. Schaurige Geschichten ranken sich um Tiberius (Regierungszeit 14–37 n. Chr.), der sich 26 n. Chr. nach Capri zurückzog. Militärisch äußerst erfolgreich, aber ungeliebter Adoptivsohn des Augustus und Spielball der Politik, flüchtete er schon einmal auf eine Insel – nach Rhodos. Hoffte er, auf Capri Ruhe zu finden in der Philosophie?

Pflichtbewusst führte er seine Regierungsgeschäfte von dort aus weiter – ein zwiespäl­

tiger Charakter aus der herrschsüchtigen Claudier­ Familie, dessen Leben auf Capri zu wilden Gerüchten Anlass gab. Wild – wie heute das Unkraut zwischen den Ruinen seiner Villa Jovis.

Als ich mich wieder auf den Weg nach unten begebe, kommen mir im bewohnten Teil der Strecke Einheimi­ sche mit Blumen entgegen: la visita dalla mamma: Es ist Muttertag. Der melan­ cholische, aber faszinie­ rende Hauch, der von der Villa Jovis ausgeht, wird verdrängt von der bunten Fröhlichkeit der Blumen.

Willkommen in der Gegen­ wart… Genießen wir doch die Schönheit Capris unbeschwert ohne Tiberius’ düstere Gedanken.

Blick von Sorrent auf Capri
Reste von Villa Jovis auf Capri