Deutsche Künstler sehen Italien III

Dr. Rainer Grimm

25.09.2020

Nach Winckelmann und Goethe, die ja ‚nur‘ die Kunst einer ganzen Generation von Malern beeinflusst hatten, komme ich nun wieder zu den ‚richtigen‘ bildenden Künstlern. Im vorletzten Brief hatte ich ja schon Anton Raphael Mengs erwähnt – von ihm stammte das Portrait von Winckelmann. Da er einer der ersten ist, die im Sinne Winckelmanns gemalt haben, soll er hier auch als nächster an die Reihe kommen.

Anton Raphael Mengs (1728 – 1779) war der Sohn eines Hofmalers in Sachsen – man kann sicher schon an seinem zweiten Vornamen ‚Raphael‘ sehen, dass sein Vater sich vorstellte, dass er in seine Fußstapfen treten solle. Seinen ersten Unterricht erhielt er dann auch bei ihm. Um sich das etwas genauer vorzustellen – als der Junge 13 Jahre alt war, lebte er mit seinem Vater eine Zeitlang in Rom. Dort soll ihn der Vater morgens nur mit Wasser und Brot in der Villa Farnesina eingesperrt haben, damit er vor Ort die Fresken von Raffael abzeichnete. Erst am Abend ließ er ihn wieder heraus. Dann kontrollierte er, was der Junge gemacht hatte, und wenn es aus seiner Sicht nicht ausreichend war, hagelte es Prügel.

Nach diesem ersten Aufenthalt in Rom kehrte er mit seinem Vater wieder nach Dresden zurück, aber schon wenige Jahre kam der junge Mengs wieder nach Rom – dieses Mal allein. Dort konvertierte er zum Katholizismus und heiratete die Römerin Margherita Guazzi (sie sollen zusammen 20 Kinder gehabt haben…) Dann ging’s wieder nach Dresden, wo er sächsischer Hofmaler wurde. Trotzdem verließ er bald darauf wieder die Stadt, um über Venedig und Florenz wieder nach Rom zu kommen. Ein Jahr später wurde er Mitglied der Accademia di San Luca (Lukas ist der Malerheilige – der Legende nach soll er die Madonna gemalt haben…)

Danach hat er in seinem weiteren Leben noch zahlreiche Reisen gemacht – letztlich kam er aber immer wieder nach Rom zurück, wo er hochgeehrt 1779 mit nur 51 Jahren starb.

Zu Beginn seiner Karriere hat er noch im Stil des Rokoko gemalt, wie man gut an dieser ‚Unschuld‘ aus dem Jahr 1754 sehen kann. Schon das ungewöhnliche Format – eine Ellipse – und die helle Farbigkeit verweisen darauf. Man sieht eine junge Frau mit entblößter linker Brust. Ein weißes ins helle Blau spielendes leichtes Tuch bedeckt rechten Arm, Schulter und den Rest des Oberkörpers. Auf dem Kopf trägt sie einen Blumenkranz, ein offensichtlich ins Haar geflochtenes hell-blaues Band liegt auf der Schulter.

Am verblüffendsten ist sicher das kleine Lamm, das in ihrem Schoß liegt, sie liebkost es mit ihren Händen. Man sieht, hier hat er virtuos Rokokomalerei zelebriert. Natürlich haben wir mit einer solchen Malerei heute doch erhebliche Schwierigkeiten. Das ist alles so süßlich gemalt, dass man es ohne weiteres in die Kitschecke stellen kann. Im Rokoko aber entsprach das sicher dem allgemeinen Geschmack.

Aber vielleicht hatte ja auch Mengs mit Bildern dieser Art Schwierigkeiten als er nur ein Jahr später – 1755 – Winckelmann in Rom kennen – und schätzen gelernt hatte. Um noch einmal kurz auf Winckelmanns Vorstellungen von Kunst einzugehen – die höchste Aufgabe der Kunst bestand darin, ‚Schönheit‘ darzustellen. Und Schönheit bedeutete eben nicht das Verspielte und Überladene des Barock oder Rokoko. Sein Wort von der ‚edlen Einfalt und stillen Größe‘ meint, dass der Künstler sich an dem messen soll, was die Antike (seiner Vorstellung nach) vorgemacht hat. Und das war eben das Lineare und Klare – sowohl in der Zeichnung als auch in der Malerei.

Eines seiner Hauptwerke – der ‚Parnass‘ von 1760 zeigt das in exemplarischer Form. Es handelt sich dabei um ein Deckengemälde in der Villa Albani. Schaut man sich das Bild an, dann sieht es wie ein ganz normales Wandbild aus – es ist aber für eine Decke gemalt und unterscheidet sich so schon einmal grundlegend von den barocken Deckenbildern, die illusionistisch die Vorstellung der Auflösung einer ‚Decke‘ bewirken sollten.

Hier haben wir also ein ganz normales Tafelbild, das an sich ja an der Wand hängend betrachtet werden sollte. Es soll also nicht etwas vorgetäuscht werden – Mengs macht damit vielmehr deutlich, dass es sich dabei um ein ‚Bild‘ und nicht um einen Blick in den Himmel handelt.

Das Bild ist sehr groß – die Maße sind 300 X 600 cm. Schaut man sich die einzelnen Figuren an, dann kann man sehen, dass sie in etwa lebensgroß gemalt sein müssen.

Dargestellt ist Apoll eben auf dem ‚Parnass‘ – in der griechischen Mythologie ist der Berg Apollon geweiht und die Heimat der Musen, der Göttinnen der Künste. Deswegen gilt der Parnass in übertragener Bedeutung als Sinnbild und Inbegriff der Lyrik, beziehungsweise der Kunst.

Dieses Bild gilt als das erste, das klassizistische Ideen zeigte. Götter und Heroen werden hierbei grundsätzlich idealisiert dargestellt.

Antiquare des 18. Jahrhunderts hatten Raffael, der in einer der Stanzen des Vatikan ebenfalls ein Bild des Parnass gemalt hatte, vorgeworfen, dass sich sein Apoll zu wenig von den Musen abhebe – und damit haben wir schon einen Aspekt, der die klassizistische Kunst etwa eines Mengs von den früheren Zeiten, beispielsweise der Renaissance unterscheidet. Die klassizistischen Künstler legten großen Wert darauf, dass Kleidung, Haarmode, der ganze Habitus so gemalt wurden, wie es die Archäologen etwa bei Ausgrabungen herausgefunden hatten. Und das war dann auch ein wichtiger Grund, warum es klassizistische orientierte Maler nach Italien zog – wo konnte man sonst so gut klassische Objekte studieren – Sarkophage, Skulpturen, antike Architektur. Auch antike Malerei war in größerem Zusammenhang entdeckt worden, als man begonnen hatte, Pompei auszugraben.

Hinter dem Gott erhebt sich ein dunkles Buschwerk – das lässt ihn besonders gut hervortreten. Überhaupt hat der Künstler die hellen und dunklen Partien auf dem Bild wohl geordnet, der Hintergrund bezieht sich jeweils auf die Personengruppen.

Um Apoll herum sind die einzelnen Musen so wiedergegeben, dass man gut erkennen kann, um welche es sich jeweils handelt. Sie sind jeweils durch Sujets oder Handlungen charakterisiert – dass wir sie heute nicht mehr so erkennen und benennen können, das hängt natürlich damit zusammen, dass unsere Kenntnis nicht mehr der entspricht, die für gebildete Leute damals selbstverständlich war.

Man kann sich vorstellen, dass Winckelmann, der schon nach kurzer Bekanntschaft sein Freund geworden war, von diesem Bild sehr angetan gewesen ist. Es entsprach in Komposition und Durchführung genau dem, was er propagiert hatte. Mengs hat im Unterschied etwa zu der süßlichen

‚Unschuld‘ hier klare, kontrastierende Farben verwendet, der Aufbau des Bildes ist wohlgeordnet. Alles ist auf die Mitte mit Apoll bezogen.

Mit diesem Bild hat Mengs also sicher seinen Freund Winckelmann begeistert.

Dann aber leistete er sich einen Fauxpas, der die Freundschaft zu Winckelmann arg erschütterte.

Etwa zur selben Zeit malte er nämlich ein Fresco im Stil der damals neu entdeckten pompeianischen Malerei – ‚Jupiter küsst Ganymed‘. Er und der jüngere Bruder des uns auch heute noch bekannten Casanova vergruben das Bild, dann wurde es ‚zufällig‘ entdeckt.

Alle dachten, dass es sich um ein Original aus der römischen Epoche handelte – Winckelmann war begeistert – wegen seiner homophilen Neigung natürlich besonders von dem Jungen.

„Nachdem man in langer Zeit”, so hebt Johann Joachim Winckelmann in seiner „Geschichte der Kunst des Altertums“ an, “keine völlig erhaltenen Gemälde in und um Rom entdeckt hatte und wenig Hoffnung übrig schien, kam im September des Jahres 1760 ein Gemälde zum Vorschein, desgleichen niemals noch bisher gesehen worden. Es ist ein sitzender Jupiter, mit Lorbeer gekrönt…, im Begriffe, den Ganymedes zu küssen, welcher ihm mit der rechten Hand eine Schale, mit erhobener Arbeit geziert, vorhält, und in der linken ein Gefäß, woraus er den Göttern Ambrosia reichte.

Als dann herauskam, dass es sich gar nicht um ein antikes Bild sondern um eine ‚Fälschung‘ von Mengs handelte, war es mit der Freundschaft zwischen ihm und Winckelmann natürlich vorbei. Aber wenn ich richtig orientiert bin, kam es später wieder zu einer Annäherung zwischen ihnen.

Solche ‚Fälschungen‘ waren nicht ungewöhnlich – schon Michelangelo hatte einen Cupido vergraben, er sollte als ‚echte antike Skulptur‘ verkauft werden, und heute haben wir mit Beltracchi ja ebenfalls einen Maler, der ‚im Stil‘ von… Fälschungen gemacht hat, die auch Fachleute nicht erkannt hatte,

Nun, zum Abschluss dieses Briefes zeige ich noch ein weiteres Beispiel klassizistischer Malerei. Es handelt sich ebenfalls um ein Bild mit Apoll – hier ist es ein ‚Apollon mit Hirten‘ von Christian Gottlieb Schick (1776 – 1812) Schick hat seine erste Ausbildung in Stuttgart gehabt, danach ging er nach Paris ins Atelier des großen französischem Maler Jacques Louis David. 1802 kam er nach Rom, wo er auch dieses Bild malte.

Typisch für die klassizistische Art zu malen, ist natürlich, dass er wie auch schon Mengs eine Göttergesellschaft darstellt. Auch die Landschaft ist idealtypisch wiedergegeben. Rechts und links befinden sich hohe Bäume, in der Mitte kann man in den Himmel schauen.

Im Unterschied zu dem Bild von Mengs hat er Apoll hier aber auf der linken Seite platziert. Trotzdem ist er sofort als die bedeutendste Person erkennbar. Neben der zu seinen Füßen ruhenden Frau ist er am hellsten gemalt. Dazu trägt er einen Lorbeerkranz und stützt sich mit seinem rechten Arm auf eine Harfe. Der Gott hat seine linke Hand zum Redegestus erhoben, er erklärt den Anwesenden die Schönheit von Poesie und Musik. Alle schauen aufmerksam zu ihm hin.

Neben den Hirtinnen und Hirten hat sich der Künstler mit seiner Frau auch in dem Bild verewigt – die beiden stehen hinter Apoll, sind antikisch gekleidet und lauschen auch andächtig. Mit diesem Bild ging Schick über den reinen Klassizismus hinaus – hier sind schon Ideen der Romantik erkennbar.

Bis zum nächsten Brief…. da geht’s dann unter anderem um eine bedeutende Künstlerin und einen sehr aufmüpfigen und kämpferischen Künstler….

Rainer Grimm