Deutsche Künstler sehen Italien VII

Dr. Rainer Grimm

28.01.2021

Liebe Italien- und Kunstfreundinnen und –freunde,

im letzten Brief habe ich nur den ‚Landschafter‘ Johann Christian Reinhart behandelt. Er war – obwohl er heute kaum noch einem größeren Publikum bekannt ist – in seiner Zeit doch einer der Großen. Am Ende des Briefes hatte ich schon angedeutet, dass ich dieses Mal die allgemeine Situation der Künstler in Rom vorstellen möchte. Meine beherrschende Frage bei diesen ‚Briefen‘ ist ja, was die Künstler dazu bewogen hat, die doch sehr beschwerliche Reise nach Italien auf sich zu nehmen, und was sie dort so wichtig und interessant fanden, dass sie zu einem großen Teil ihr Leben lang blieben.

Meine These ist, dass die frühen Künstler nach Italien gingen, um für den heimischen Markt interessanter zu sein. Später stand mit und durch Winckelmann das Interesse an der klassischen Kunst im Vordergrund. Da man die meisten Kunstwerke der griechischen Antike in Italien – und vor allem in Rom – studieren konnte, war dieses Land also für die ‚klassizistischen‘ Künstler das Sehnsuchtsziel.

Aber es gab auch noch andere Gründe, die die Künstler nach Rom zogen – und das waren eben nicht nur künstlerische. 1789 begann die Französische Revolution, und am Ende des 18. Jahrhunderts wurde Rom von den Franzosen besetzt. Rom war bis dahin in der Hand der Päpste gewesen, und diese Päpste bestimmten, was in Rom und den vom Vatikan beherrschten Gebieten zu tun und zu glauben war. Der Vorteil der französischen Besetzung war beispielsweise für den im letzten Brief behandelten Reinhart, dass er seine römische Geliebte ohne kirchliche Zeremonie heiraten konnte. Das revolutionäre Flair währte zwar nicht allzu lange, doch gab es eine Grundstimmung unter den deutschen Künstlern, die vieles von dem kritisch sahen, was in den deutschen Landen als normal galt. So favorisierten die meisten von ihnen die Republik. Und die deutsche Künstlergemeinschaft wurde tatsächlich auch als ‚Römische Künstlerrepublik‘ bezeichnet. Man kann sich vorstellen, dass solche ‚revolutionären‘ Bezeichnungen in der Heimat nicht gern gesehen wurden. Dennoch waren viele Künstler von ihren jeweiligen Landesherren finanziell abhängig – und dieser Spagat zwischen Loyalität auf der einen und freiheitlich revolutionärer Haltung auf der anderen Seite war für diese Künstler sicher nicht leicht auszuhalten.

Neben der eher lockeren Künstlervereinigung gab es aber noch eine andere, sehr starke Gruppe, und das waren die Lukasbrüder oder, wie sie später spöttisch genannt wurden, die ‚Nazarener‘. Sie standen dem Katholizismus nahe – viele von ihnen konvertierten sogar. Die ersten Mitglieder der Gruppe hatten zunächst in Wien studiert, sie waren mit der Ausbildung an der Akademie, die klassizistisch orientiert war, jedoch unzufrieden. Die jungen Leute wollten das, was alle jungen Leute wollen, sie wollten etwas anderes machen als die Alten und die Kunst im Geiste des Christentums erneuern.

Die eher laizistisch orientierten Künstler und die Lukasbrüder bekriegten sich heftig – aber natürlich gab es auch innerhalb der beiden großen Lager heftige Auseinandersetzungen (da hat sich bis heute nichts, aber auch gar nichts verändert).

Wie kamen die Künstler nun nach Italien? Viele Künstler hatten von ihrem Landesherrn ein Stipendium bekommen, was ich ja schon bei Koch oder Reinhart erwähnt habe.

Ob viele von ihnen mit einem ‚Vetturino‘, also einem Kutscher oder auch nur der Postkutsche reisen konnten, ist zu bezweifeln. Carl Urban Keller, der Schöpfer dieser hübschen (vermutlich lavierten) Federzeichnung, war an sich promovierter Jurist in Stuttgart, zeichnete und malte aber in seiner Freizeit.

Man sieht eine solche Kutsche, wie sie vermutlich langsam  – der Kutscher geht neben den Pferden her – durch Italien fährt. Der Fahrgast scheint sich nicht so gut auszukennen, fragt er doch: ‚Come si chiama questo paese‘? (Also: Wie heißt dieses Land?)

Man kann sich gut vorstellen, wie lange ein Fußmarsch oder aber auch eine solche Fahrt bis nach Rom gedauert hat. Kamen Reisende aus dem Norden in die Nähe der großen Stadt, dann sahen sie zuerst die milvische Brücke, die über den Tiber führte.

Die Brücke hieß und heißt im römischen Dialekt ‚Ponte Molle‘. Als ich vor einigen Jahren auf den Spuren der deutschen Künstler in Rom war, wanderte ich auch über sie.

Der Turm am Beginn der Brücke war die erste Station, an der die Reisenden sicher erst einmal ‚visitiert‘ wurden. Diese Brücke hatte für die deutschen Künstler aber noch eine ganz besondere Bedeutung. Hatten sie erfahren, dass ein neuer Kollege aus dem Norden nach Rom kommen würde, zogen sie von der Stadt bis zur Brücke. War der Neue dann auf der anderen Seite der Brücke angekommen, wurde er mit Hallo empfangen und man zog gemeinsam zur nächsten Kneipe, wo er ein Fass Wein ausgeben musste. Anschließend ging’s durch die Via Flaminia in die Stadt.

Und da hier die Milvische Brücke (die ‚Ponte Molle‘) gewissermaßen die Grenze zwischen dem Umland und der Stadt markierte, war sie natürlich auch symbolisch wichtig für die deutschen Künstler in Rom. Nach ihr benannten die Deutschrömer daher ihre Vereinigung – nämlich als ‚Ponte Molle Gesellschaft‘.

Die nächste Station war die Porta del Popolo, die eigentliche Zollstation. Von dem Platz hinter dem Tor führten und führen drei Straßen weiter in die ‚eigentliche’ Stadt. Die Straßen werden durch die ‚chiese gemelle‘ – die Zwillingskirchen begrenzt. In der Mitte – zwischen den Kirchen – ist es der Corso – da hat Goethe gewohnt, heute ist dort die ‚Casa Goethe‘.

Die nach Rom gewanderten Künstler nahmen aber im Allgemeinen die linke Straße, die Via Paolina (heute Via del Babuino). Sie führt an der Piazza di Spagna vorbei. Auf der Höhe dieses Platzes befand (und befindet sich hoffentlich noch heute) in der Via Condotti das Caffè Greco. Doch es kann leider sein, dass es weichen muss – die Mieten sind so eklatant gestiegen und sollen noch mehr steigen, dass es zu verschwinden droht ihre Post dorthin schicken ließen.

In diesem Caffè tagte die deutsche Künstlerschaft. Schräg gegenüber war das ‚Lepre‘, wo man essen konnte. Und Herbergen, in denen man unterkommen konnte, bevor man eine feste Bleibe hatte, gab es in der Umgebung auch.

Aber das ‚Greco‘ war der Ort, der für die Künstler eminent wichtig war. Wenn man einen deutschen Künstler in Rom suchte, fand man ihn sicher dort – zumindest konnten die dort sitzenden Kollegen sagen, wo er sich aufhalten mochte. Das ging so weit, dass die Künstler ihre Post dorthin schicken ließen.

Ich war einmal im Caffè – der Espresso ist … nun ja … etwas sehr teuer, dafür hängen an den Wänden großartige Bilder der Deutschrömer. Es wäre wirklich ein großer Verlust, wenn dieses Caffè weichen müsste.

In der Nähe des Caffè Greco und der Piazza di Spagna wohnten die meisten der deutschen Künstler. Daran kann man u. a. gut sehen, dass es eine freiwillige ‚Ghettobildung‘ auch damals gab. Die Gegend um die Piazza di Spagna und die Piazza Barberini war noch im 19. Jahrhundert ein relativ preisgünstiger Bezirk, was sich heute allerdings vollständig geändert hat, die Preise sind unglaublich gestiegen, und in der Via Condotti sind die edelsten Geschäfte versammelt. Damals aber wohnte man gern in der Nähe von anderen – deutschen – Künstlern. So konnte man sich treffen, miteinander trinken, diskutieren, auch über Kollegen herziehen und die Weltläufe erörtern. Teilweise wurde sehr heftig darüber gestritten, was gerade der richtige politische Weg war und wie man sich überhaupt zu verhalten habe.

Friedrich Noack, der Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts ein Buch über ‚Deutsches Leben in Rom‘(F. Noack: Deutsches Leben in Rom 1700 – 1900, Nachdruck) geschrieben hat, zitiert aus einem Zeitungsartikel von 1821: „Es tut mir leid, von unseren Landsleuten in Italien zu schreiben, weil sie durch keine Vertragsamkeit sich als Nation stempeln; als einzelne Menschen flößen sie meist Achtung ein, als Nation richten sie sich selbst zu Grund.“ Es gab also das, was man auch aus anderen Zusammenhängen zur Genüge kennt: Gruppen neigen dazu, sich in Untergruppen zu spalten, und die größten Anfeindungen gibt es immer gegen denjenigen, der sich nur wenig vom eigenen Standpunkt entfernt.

Aber es gab auch viele Gelegenheiten, bei denen man sich einig war. So entstand Anfang der zwanziger Jahre des 19. Jahrhunderts eine ganz neue Form des Feierns.

Johann Christian Reinhart, den ich im letzten ‚Brief‘ ausführlich gewürdigt habe, hatte auf einem seiner Streifzüge im Osten der Stadt ein verwunschenes Grottensystem entdeckt und gezeichnet. Das waren die Grotten von Cervaro – ein Höhlensystem, das in der Antike entstanden war, als die Gegend ein Steinbruch war. Diese Radierung von ihm zeigt  sehr schön die romantische Stimmung bei und in diesen Höhlen (Mit freundlicher Genehmigung von Dieter Richter, dem Autor der Biographie über Reinhart). Als er davon seinen Kollegen erzählte, zogen auch andere Künstler hin, um zu zeichnen. Im Laufe der Zeit steigerte sich das immer mehr, bis schließlich in jedem Jahr am 1.Mai ein großes Fest gefeiert wurde.

Dazu traf man sich am Morgen verkleidet, um gemeinsam zu Fuß, zu Pferde oder auf Karren zu den ehemaligen Steinbrüchen zu gelangen. Sicher wurde auf dem Weg auch schon ganz gut gegessen und getrunken. In jedem Fall müssen die Leute dabei viel Spaß gehabt haben, wie man an dem nebenstehenden Bild sehen kann.

Dann wählte die Gruppe einen ‚Generalissimus‘ – auf dem nebenstehenden Bild ist es der Künstler Friedrich Nerly aus Erfurt. Wenn man vor Ort war, wurde eine ‚Heerschau‘ gehalten. Daran kann man gut sehen, wie die Künstler in die eigene Zeit eingebunden waren. Napoleon war geschlagen, und man war einerseits stolz auf die deutschen Krieger, andererseits empfand man vermutlich auch Skepsis gegenüber dem Militarismus an sich. Also bediente man sich zwar militärischer Äußerlichkeiten, wollte aber auf der anderen Seite damit nur spielen. So wurden u. a. auch Orden verteilt, etwa der

‚Baiocco‘ Orden (der Baiocco war die kleinste Münze, wie ein Cent heute).

Dann wurden Verse gelesen, extra für diesen Anlass geschrieben und möglichst mit Rauch und Donner vorgetragen. Ein Thron wurde errichtet und so ging es weiter.   Unter   anderem   gab   es   noch ‚Olympische Spiele‘ mit Wettlauf, Sackhüpfen,  Esel-  und  Pferderennen.   „Der Höhepunkt dieser Wettkämpfe war das Scheibenschießen auf die Pappfigur des Kritikers. Mit dieser symbolischen Hinrichtung konnten die Künstler ihre Wut auf die Kunstkritiker abreagieren.“ (Portraits deutscher Künstler in Rom zur Zeit der Romantik, Katalog: Winckelmann Museum 2008, S. 27)

Mit den Jahren uferten die Feste immer mehr aus – die Römer nannten sie ‚Il carnevale dei tedeschi‘, und irgendwann hatte sich das Ganze überholt. Aus der spaßigen ‚Ponte Molle Gesellschaft‘ wurde der ‚Deutsche Künstlerverein‘, in dem man unter anderem für eine Art ‚Künstlersozialkasse‘ sammelte, um notleidenden Kollegen zu helfen. Man kümmerte sich noch mehr um Bildung und Studien – es wurden etwa Aktzeichenkurse abgehalten, eine kleine Bibliothek wurde gegründet, man versuchte Ausstellungen zu organisieren usw.

Soweit dieser kleine Überblick darüber, wie die Künstler in Rom lebten und was sie bewegte. Im nächsten Brief werde ich die Lukasbrüder – oder wie sie auch abwertend genannt wurden – ‚Nazarener‘ – darstellen.

Bis dahin eine gute Zeit Rainer Grimm