Deutsche Künstlerinnen und Künstler sehen Italien XIV

Dr. Rainer Grimm

28.02.2022

In meinem letzten Brief habe ich mit Marie Ellenrider und Katharina von Predl schon zwei Künstlerinnen vorgestellt, nun geht es um drei weitere, die in ihrer Zeit bedeutend waren und heute zu Unrecht fast vergessen sind. Es sind Sophie Reinhard (1775 – 1844), Louise Seidler (1786 – 1866) und die Gräfin Julie von Egloffstein (1792 – 1869). Sicher gab es in dieser Zeit noch mehr Künstlerinnen, die hier erwähnt werden müssten, aber dafür fehlt der Platz. Wer weitere Informationen haben möchte, die oder der sei auf entsprechende Literatur verwiesen. [Es hat in den letzten Jahren eine Reihe von Ausstellungen zu Künstlerinnen gegeben. Dazu gibt’s Kataloge etwa: Zwischen Ideal und Wirklichkeit – Künstlerinnen zwischen 1750 un 1850; herausgegeben von Bärbel Kovalevski; Ostfildern – Ruit 1999]

Ich gehe jetzt hier chronologisch vor und beginne so mit Sophie Reinhard. Sie stammte aus einer bürgerlichen Familie, die – modern gesprochen – zur ‚Funktionselite‘ gehörte. Dass bürgerliche Familien durchaus eine wichtige Rolle spielen konnten, das konnte man ja schon bei Kestner – aber natürlich auch bei Goethe – sehen. Der Vater von Sophie Reinhard hatte wichtige Positionen im Staat inne und wurde schließlich ‚Geheimer Rath‘. Sie hatte also etwa im Unterschied zu anderen Künstlerinnen die Möglichkeit, die Reise nach Italien durch das Familienvermögen zu finanzieren. [Edwin Fecker: Die großherzogliche Badische Hofmalerin Sophie Reinhard; Maulburg 2018 S. 42]

Schon früh war ihr künstlerisches Talent aufgefallen. In Karlsruhe erhielt sie ihren ersten Unterricht. Danach ging sie zunächst nach München und dann nach Wien. Ihr Selbstportrait von 1809 – da war sie etwa 33 Jahre alt – zeigt die junge Frau im Profil. Für die Zeichnung hat  sie verschiedene Kreiden vermutlich auf dunklem Grund verwendet. Der Strich ist locker, man merkt, dass sie in ihrem Leben schon viel gezeichnet hat. Sehr geschickt setzt sie das helle Gesicht gegen den dunkleren, zusätzlich durch schräge parallele Striche belebten Hintergrund ab, Sie schaut direkt nach links aus dem Bild heraus – also muss sie sich selbst mit zwei Spiegeln gezeichnet haben.

Beim längeren Betrachten habe ich mir aber überlegt, dass vielleicht ein anderer von ihr zunächst einen Schattenriss angefertigt hat, den sie selbst erst hinterher mit Hilfe der Spiegel vollständig durchgezeichnet hat.

In jedem Fall zeigt dieses Portrait, dass Sophie Reinhard keinen Vergleich mit anderen zeitgenössischen Künstlern zu scheuen braucht.

1810 konnte sie sich ihren größten Wunsch erfüllen und die Reise nach Italien – und besonders nach Rom antreten. Ihr Vater und einige andere begleiteten sie bis Mailand. Von dort fuhr sie mit dem Landschaftsmaler Jakob Wilhelm Huber allein nach Rom.

Wie es damals allgemein üblich war, hatten sie Empfehlungsschreiben an einige Künstler in Rom bei sich – so an Johann Christian Reinhart und Joseph Anton Koch. Sie scheint sich in Rom auch sehr wohl gefühlt zu haben. Bald hatte sie eine italienische Freundin – Bianca Milesi aus Mailand, die ebenfalls Künstlerin war.

Beide machten Ausflüge in die nähere Umgebung. Bei einem dieser Ausflüge ritten sie auf Eseln – und es wurde damals sehr bewundert, dass die jungen Frauen die als störrisch verschrienen Tiere so gut unter Kontrolle hatten. [Vgl. Edwin Fecker a.a.O. S. 38]

Sophie Reinhard hat ihre Freundin auf dem Esel sitzend in ihr Skizzenbuch gezeichnet. Es ist schon faszinierend, wie es der Künstlerin gelingt, einen solchen Moment festzuhalten.

Wie es allgemein üblich war, hat sie dabei Gesicht und Oberkörper genauer wiedergegeben, alles andere sowohl der Esel als auch der Hintergrund sind sicher bewusst leichter und durchscheinender gezeichnet.

Zum Ölgemälde auf der linken Seite gibt es unterschiedliche Angaben. Bärbel Kovalevski schreibt, dass es sich bei diesem Bild um ein Selbstportrait handele [Zwischen Ideal und Wirklichkeit, a.a.O. S. 290]. So steht es auch bei Wikipedia im Beitrag zu Sophie Reinhard. Ich kann mir vorstellen, dass als Grund dafür der Stift in der – vom Betrachter aus gesehen linken Hand – dient. Da sich die Künstlerin ja beim Malen in einem Spiegel gesehen haben müsste, wäre das die rechte Hand.

Die Kunsthalle Karlsruhe, in deren Besitz es sich befindet, gibt allerdings als  Titel nur ‚Bildnis einer jungen Römerin‘ an.

Edwin Fecker weist nun aber in seinem Buch über Sophie Reinhard für mich einleuchtend darauf hin, dass es sich vermutlich doch um ein Portrait von Bianca Milesi handelt [Edwin Fecker a.a.O. S. 48 f]. Da sie ja auch bildnerisch tätig war, wurde sie eben auch mit dem Stift als Künstlerin dargestellt.

In jedem Fall kann man schon an diesem Bild die Qualität der Künstlerin erkennen. Allein wie sie die unterschiedliche Stofflichkeit hier wiedergibt, ist sehr gelungen. Sie war also nicht nur eine gute Zeichnerin, sie hatte auch gelernt ungewöhnlich gut zu malen.

1814 verließ sie aber Rom etwas überstürzt und ging nach Karlsruhe zurück, wo sie dann ‚Hofmalerin‘ mit einem jährlichen Gehalt von immerhin 800 Gulden wurde.

Die nächsten beiden Künstlerinnen, auf die ich hier etwas genauer eingehe, standen in einer engen Beziehung zu Goethe. Das zeigt sich beispielsweise schon daran, dass in Publikationen über sie direkt auf Goethe hingewiesen wird. Auf dem Umschlag der ‚Erinnerungen‘ von Louise Seidler steht: ‚Goethes Malerin‘ und auf dem Katalog über Julie von Egloffstein immerhin mit Fragezeichen: ‚Goethes glückliche Zeichnerin?‘ Dass beide Male auf den großen Goethe hingewiesen wird, hängt sicher damit zusammen, dass man die Künstlerinnen durch die Nennung von Goethe aufwerten wollte.

Louise Seidler ist für die Beschäftigung mit der damaligen Kunst und dem Leben der Deutschen in Italien besonders bedeutsam, weil nach ihrem Tod ein Buch mit ihren Erinnerungen erschienen ist [Louise Seidler: Goethes Malerin; Die Erinnerungen der Louise Seidler; herausgegeben von Sylke Kaufmann Berlin 2003]. Sie sind voll von Beobachtungen aus dem alltäglichen Leben der Künstlerin und aus dem ihrer Kollegen. Zwischen 1818 und 1823 war sie für immerhin fünf Jahre die einzige bedeutende Künstlerin unter vielen anderen Kollegen. Und dass sie sich im Kollegenkreis durchsetzen konnte, zeigt schon, was für eine talentierte Künstlerin sie war. Da sie in ihren Erinnerungen alles außerordentlich lebhaft und bildreich schildert, werde ich sie häufiger mit ihren Worten zitieren.

Louise Seidler wurde in Jena geboren und lernte schon als Kind den großen Goethe kennen, später war er ihr immer wieder behilflich, obwohl er mit ihrer künstlerischen Entwicklung nach dem Aufenthalt in Italien nicht ganz glücklich war. Aber dazu später mehr.

Die junge Frau konnte in Dresden bei bedeutenden Künstlern studieren. Dann bewilligte ihr der Großherzog von Sachsen-Weimar 400 Gulden, damit sie in München an der Akademie ihre Ausbildung fortsetzen konnte. Ich denke, man kann davon ausgehen, dass es auf Anregung Goethes geschehen ist.

Nachdem sie eine Weile dort studiert hatte, zog es sie – wie die meisten Künstlerinnen und Künstler ihrer Zeit – unbedingt nach Italien. Durch Vermittlung bewilligt ihr der Großherzog wieder 400 Gulden, „mit der Erlaubniß, für diese Summe in Rom zu studieren.“ [Louise Seidler S. 148] Zusammen mit einer Frau von Loewenich und dem elf Jahre jüngeren Kunstkollegen Caspar Schinz fuhr sie am 19. September 1818 von München aus nach Italien. Die Reisegruppe machte Station in Verona, Venedig, Parma, Bologna und Florenz und kam am 28. Oktober in der ‚ewigen Roma‘ an.

Als Louise Seidler am Ende ihres Lebens ihre ‚Erinnerungen schrieb, wies sie darauf hin, wie einfach man ‚heute‘ (also in den sechziger Jahren des 19. Jahrhunderts!) nach Rom kam: „Welch ein Unterschied, wenn die jetzige Jugend nach Rom reist! Kaltblütig steigt man in den Eisenbahnwagen, in das Dampfschiff, und landet in Civita-Vecchia, erreicht die herrliche Roma auf dem kahlsten Wege und gelangt durch unbedeutendes Straßengewinkel zum Hotel. Weit poetischer kamen Schinz, Frau von Loewenich und ich an das Ziel unserer Sehnsucht: über die blauen Berge, quer durch Tyrol ziehend, erreichten wir aller Künstler gelobtes Land, das sonnige Italien.“ [Louise Seidler S. 152]

Eine Freundin aus München, Henriette Herz, die schon eher nach Rom gekommen war, hatte  ihr schon eine Wohnung im Palazzo ‚Guarniere‘ am ‚Monte Pincio‘ besorgt. Dort wohnten auch die meisten Deutschen damals. Bevor ich jetzt auf ihre Wohnsituation genauer eingehe, folgt nun erst einmal ein Bild der Künstlerin.

Auf der linken Seite ist sie so zu sehen, wie sie etwa um 1820, also im zweiten Jahr ihres Aufenthalts in Rom aussah. Wikipedia schreibt, dass Carl Christian Vogel von Vogelstein diese Zeichnung gemacht habe. Sylke Kaufmann – sie ist die Herausgeberin der ‚Erinnerungen‘ meint dagegen, dass es sich um ein Selbstportrait handelt.

Für ein Selbstportrait spricht, dass die junge Frau direkt aus dem Bild herausschaut – sie müsste beim Zeichnen ja auch so in einen Spiegel gesehen haben. Andererseits war Vogel von Vogelstein, der zur selben Zeit in Rom war, dafür bekannt, dass er zahlreiche Portraits von Künstlern anfertigte. Aber – er wird in den ‚Erinnerungen…‘ überhaupt nicht erwähnt, und wenn er sie in Rom gezeichnet hätte, dann würde sie das wohl vermerkt haben.

In jedem Fall zeigt sich Louisse Seidler als eine schöne junge Frau. Zeittypisch ist wieder besonderer Wert auf die Darstellung des Gesichts gelegt. Nach unten hin werden die Linien immer schwächer gezeichnet. Dadurch, dass beim Körper auch fast vollständig auf Grauwerte verzichtet wurde, sticht das Gesicht als das entscheidende Merkmal besonders hervor. Und es ist ja in der Tat so, dass sich die Persönlichkeit eines Menschen am ehesten im Gesicht ausdrückt.

Louise Seidler beschreibt, wie ihre Wohnung in Rom ausgestattet war. Da man annehmen kann, auch die anderen Künstler hätten ähnlich gewohnt, gebe ich ihr hier wieder das Wort – sie beschreibt alles so plastisch und genau, dass man sich ein gutes Bild der damaligen Wohnverhältnisse machen kann.

Im Erdgeschoss wohnte die Familie Pulini und in den oberen Etagen lagen die Künstlerwohnungen. Ihr Logis bestand danach aus „einem langen, mit verwitterten Fresken gezierten Saale und einem anstoßenden Schlafzimmer, welches zwei Fenster und einen Kamin hatte. (…) Das Mobiliar war gleich null,, man sah weder Vorhänge noch den Luxus eines Schreibtisches; als Sopha diente eine schmale, strohgeflochtene Bank; die einzige Kommode war grau angestrichen und mit bunten Linien verziert; das Bett, wie gewöhnlich in Italien, so breit, dass drei bis vier Personen darin Platz gehabt hätten. Es bestand aus vier Brettern, die auf eisernen Untergestellen ruhten; auf den Brettern lag ein mit Maisblättern gefüllte Matratze. Ein ebenso gefüllter leinener Sack fungirte als Kopfkissen; vervollständigt wurde dieses primitive Ganze durch eine wollene Decke. Das Leinenzeug war stets ungerollt und so grob wie ein deutsches Soldatenhemd; Andersens ‚Prinzessin auf der Erbsen‘ würde wahrscheinlich auf dieser Lagerstatt in der ersten Viertelstunde den Geist aufgegeben haben.“ [Louise Seidler S. 161] Louise Seidler schreibt auch über eine ‚Ofen‘, den sie sich auf dem Trödelmarkt gekauft hatte, er hatte ein Rohr, das man aus dem Fenster leiten musste – wenn Wind war, zog der ganze Rauch ins Zimmer.

Am Ende dieser Beschreibung betont sie aber auch…. „wie glücklich fühlte ich mich darin! Verhältnißmäßig genommen, konnte ich übrigens nicht klagen, denn von meinen Kunstgenossen wohnte gewiß keiner besser. Bequemlichkeit galt nichts; man lebte nur, um zu streben.“ [Louise Seidler S. 163] Wenn man sich anschaut, in welchem Luxus wir heute wohnen, dann ist ein solcher Blick zurück schon sehr erhellend.

1819 kam Fanny Caspers, eine Jugendfreundin der Künstlerin nach Rom. Sie war Gesellschafterin einer ungarischen Fürstin, die ihr aber in Rom viel Zeit ließ. So konnte Louise Seidler sie malen – und Bertel Thorwaldsen, der berühmte dänische Bildhauer, verliebte sich offensichtlich in sie. Jedenfalls soll er bei den Sitzungen zum Portrait fast immer dabei gewesen sein.

Unter anderem regte er an, dass im Hintergrund das Kolosseum auftauchen sollte – und, das ist für unsere heutige Zeit schon interessant, diesen Hintergrund malte ein anderer Künstler. Man half sich damals in solchen Fällen immer. Der Originalitätsanspruch, den wir heute ganz selbstverständlich an Kunstwerke haben, gab es in dieser Form damals überhaupt nicht. Vermutlich entspann sich zwischen Fanny Caspers und Bertel Thorwaldsen eine heftige Liebesbeziehung. Nach Aussagen von Louise Seidler hätte Fanny ihn gern geheiratet, aber der Bildhauer entzog sich dem. Wie man an dem Bildnis sehen kann, war Louise Seidler eine ausgezeichnete Malerin und Portraitistin. Sie hat nicht nur ein Abbild der schönen, jungen Frau gemalt – man hat das Gefühl in ihre Seele schauen zu können.

Zugleich aber interessierte sie die Malerei der Nazarener. Natürlich stand sie im Kontakt mit Overbeck – sie schreibt in ihren Erinnerungen: „ Später habe ich die große Freude gehabt, Overbeck bei mehreren seiner Werke mit kleinen Hilfeleistungen dienlich sein zu können, namentlich arbeitete ich an dem Grunde seines herrlichen Bildes ‚die sieben hungrigen Jahre‘ mit…“ [Louise Seidler S. 187] So etwas war also durchaus möglich und üblich.

Als die 400 Gulden verbraucht waren, bat die Künstlerin um ein weiteres Stipendium. Das wurde ihr durch Vermittlung hochgestellter Personen – ich denke, dass Goethe wieder daran beteiligt war – auch bewilligt. Sie konnte also länger in Italien bleiben. Und sie konnte das auch dadurch, dass es ihr gelang einige Bilder zu verkaufen. Zeittypisch war dabei, dass nicht etwa eine individuelle Handschrift gefordert wurde – neben Bildern nach eigenen Entwürfen und Vorstellungen waren es vor allem auch Kopien nach großen Meistern.

Schaut man sich eines ihrer großen Ölbilder an, dann kann man feststellen, dass sie viel vom großen Vorbild Raffael übernommen hat. Bei der ‚Madonna mit dem schlafenden Kind, dem Johannesknaben und drei Engeln‘ von 1823 sieht die mittlere Gruppe auf den ersten Blick tatsächlich nach Rafael aus. Die zentrale Komposition mit der vor einem dunklen Hintergrund sitzenden Madonna könnte von ihm sein.

An anderen Stellen gibt es allerdings doch einige Unterschiede. So sind die Gesichter und Gewänder der Engel und auch der Hintergrund mit den Wolken sehr schematisch gemalt. Das Jesuskind und der kleine Johannes sind dagegen wie tatsächlich beobachtete kleine Kinder. Zugleich hat Louise Seidler, so stelle ich mir vor, viel Emotion in das Bild gelegt und sich an den Arbeiten von Overbeck und den Nazarenern orientiert. In der Literatur wird sie auch mit zu dieser Gruppierung gerechnet.

Wenn man bedenkt, dass sie vorher ganz unter dem Einfluss von Goethe und seiner Auffassung von Kunst gestanden hatte, kann man sich vorstellen, dass dieser nicht begeistert von diesem Sinneswandel war. Trotzdem blieben sie bis zu seinem Tod 1832 in enger Verbindung. Louise Seidler erhielt zahlreiche Ehrungen, wurde in Weimar ‚Großherzogliche Hofmalerin‘ und war damit finanziell abgesichert.

Am Ende ihres Lebens erblindete sie und konnte nicht mehr malen. Stattdessen schrieb – oder wahrscheinlicher diktierte sie in den sechziger Jahren – ihre ‚Erinnerungen‘. Sie sind eine wertvolle Quelle für das Leben der Künstlerinnen und Künstler besonders in Italien. Nach ihrem Tode wurden sie von Hermann Uhde herausgegeben. Es lohnt sich in dieses Buch hineinzuschauen.

Die dritte Künstlerin, die ich in diesem ‚Brief‘ würdigen möchte, ist die Gräfin Julie von Egloffstein (1792  –  1869) Ich bin auf die Künstlerin gestoßen, als ich mich vor einiger Zeit intensiv mit August Kestner beschäftigt hatte – diesen hatte ich ja in Brief XII ausführlich gewürdigt.

Julie von Egloffstein ist zwar in Erlangen geboren, nach der Scheidung ihrer Eltern kam sie aber früh mit ihrer Mutter nach Weimar, dort gehörte sie mit zum sogenannten ‚Musenhof‘, den Anna Amalia von Sachsen- Weimar gegründet hatte. Da Goethe ebenfalls zu diesem Kreis gehörte, lernten sich die beiden schon früh kennen, und er widmete ihr mehrere Gedichte. Die Mutter heiratete danach den Oberforstmeister Carl von Beaulieu-Marconnay und zog mit ihm in ein Forsthaus nach Misburg (heute ein Stadtteil von Hannover) und August Kestner war in seinen jungen Jahren dort häufig zu Besuch. Hier gab es – eben in Anlehnung an Weimar – auch so etwas wie einen ‚Musenhof‘, wo künstlerisch interessierte Menschen zusammenkamen, Gedichte vortrugen, gemeinsam musizierten und sich über alle interessanten Dinge unterhielten.

Um sich ein Bild von solchen Zusammenkünften zu machen, führe ich hier ein Beispiel an. Kestner, der gern Gitarre spielte und selbstkomponierte und getextete Lieder sang, hatte ein gereimtes Theaterstück geschrieben. Das wurde an einem Abend unter anderem mit Julie aufgeführt. Hinterher wurde Kestner von der Gesellschaft mit einem selbstgebastelten Lorbeerkranz als Dichter geehrt. Kestner scheint auch Ambitionen auf eine Verbindung mit Julie gehabt zu haben, jedenfalls soll er geäußert haben, dass der gesellschaftliche Graben zwischen ihnen – sie war immerhin Gräfin und er nichtadelig – leider zu groß sei. [Marie Jorns: August Kestner und seine Zeit, Hannover 1964 S..73]

Das Forsthaus gibt es nicht mehr – jetzt steht dort das Rathaus. Aber immerhin hat man zu Ehren der Familie ein Relief der Künstlerin Ulrike Enders angebracht.

Dass die junge Frau sehr qualitätvoll malte, kann man schon an ihrem Selbstportrait von 1822 erkennen. Julie ist etwa dreißig Jahre alt und eine sehr schöne Frau. Ihr gesellschaftlicher Rang wird an dem kostbar aussehenden Kleid deutlich. Sie hat sich also sicher bewusst nicht als tätige Künstlerin sondern als eine ‚Dame von Stand‘ dargestellt. Sie schaut den Betrachter, also uns direkt an. Daran kann man sehen, dass sie aller Wahrscheinlichkeit nach einen Spiegel benutzt hat. Sie muss sich dann also auch spiegelverkehrt gemalt haben – d.h. das, was wir als ihren rechten Arm sehen, ist vermutlich ihr linker. In der Hand hält sie einen Stift, der Arm ruht auf einem gewellten Papier. Sie will offensichtlich damit zeigen, dass sie etwas schreibt oder zeichnet.

Eigentlich gehe ich davon aus, dass sie Rechtshänderin ist, gerade weil sie diese Hand durch einen Schleier verbirgt. Vermutlich wollte sie so ‚verschleiern‘, dass sie sich selbst malt.

In Verbindung mit dem kostbaren Kleid, ihrer Haltung und dem Hintergrund – schwach ist die Burg Egloffstein zu sehen – zeigt sie eben, dass sie adelig ist. Und als Adelige konnte oder durfte sie sich nicht als tätige Künstlerin leben und arbeiten. Das war in ihren Kreisen nicht möglich.

Nach der Zeit in Misburg, als die Familie nach Marienrode zog, ging die junge Frau mit ihrer Schwester wieder nach Weimar, wo sie Hofdame bei der Großherzogin Louise wurde. Sie scheint sich dort aber in der Doppelrolle als Hofdame und Künstlerin nicht wohl gefühlt zu haben, jedenfalls durfte sie 1829 wegen ihres schlechten Gesundheitszustandes eine Urlaubs- und Erholungsreise machen. Zunächst sollte die Reise zwar nur kurze Zeit dauern, sie schaffte es aber, den Aufenthalt immer wieder zu verlängern.

Und so kam sie dann über viele verschiedene Stationen auch bis nach Rom. Als sie dort ankam, war sie schon von August Kestner erwartet worden. Er hatte ihr eine angemessene Wohnung in seiner Nähe besorgt, zeigte ihr die Kunstschätze Roms und ging mit ihr in die Ateliers der in Rom tätigen Künstler. Die junge Frau studierte alles und holte sich dabei viele Anregungen für eigene Arbeiten. Unter anderem machte Kestner sie mit dem französischen Maler und Akademiedirektor Horace Vernet bekannt – sie schreibt selbst an ihre Mutter, dass die in der Villa Medici befindliche Ausstellung französischer Kunst ein großer Gewinn für sie sei, da sie „auf diese Weise Natur und Kunststudium so herrlich verbinden kann.“

Kestner schreibt in einem Brief, dass sich die junge Künstlerin in Rom und der Umgebung vor allem mit Landschaftsmalerei beschäftigt hat. Und sie hat dabei sehr qualitätvolle Zeichnungen gemacht.

Vor ihrer Reise hatte sie noch die Technik der Lithographie gelernt. Eigene Zeichnungen durch Drucke vervielfältigen zu können, hatte den nicht zu unterschätzenden Vorteil, dass sie sich – weil preisgünstig – gut verkaufen ließen. Man kann daran sehen, dass die junge Frau sicher auch geschäftstüchtig dachte.

Obwohl sie ursprünglich in Weimar sicher eher klassizistisch ausgebildet wurde, ist die Lithographie mit dem ‚Winzerjungen im Weinstock‘ ein Zeichen dafür, dass die Künstlerin während ihres Aufenthalts in Italien auch romantische Vorstellungen übernommen hat.

Der Junge ruht entspannt auf dem Weinstock. Der hat das rechte Bein hochgezogen – seine Haltung ist ausgesprochen lässig. Dabei schaut er die Künstlerin – also uns als Betrachter – direkt an.

Als Gräfin konnte sie sich nicht so unbefangen geben, wie es sich die ‚Bürgerlichen‘ leisten konnten. Sie soll in dieser Zeit auch in einen Engländer verliebt gewesen sein, die Beziehung endete aber noch in Rom, weil beide nicht über das für ein Zusammenleben nötige Geld verfügten.

Julie von Egloffstein hat viele Portraits von Zeitgenossen gemacht – so unter anderem auch von Goethe. Aber als Gräfin konnte und durfte sie ganz offensichtlich nicht so richtig als Künstlerin leben – so war sie im Hauptberuf eben ‚Hofdame‘. Damit wird aber auch schon ihr lebenslanger Konflikt deutlich. Der bayrische König Ludwig I schrieb 1864 in einem Brief an die zweiundsiebzigjährige Künstlerin: „Schade, dass Sie Hofdame waren, Sie würden sonst eine große Malerin geworden sein.“ [Wikipedia über Julie von Egloffstein]

Aber einige großformatige Bilder sind dann doch entstanden. So hat sie u.a. die Königin Therese von Bayern gemalt.

1835 war die Julie von Egloffstein auf dem Weg von Rom zurück nach Marienrode. Unterwegs in Bayern fertigte sie eine Zeichnung von Ludwig I an – sie gefiel so sehr, dass sie den Auftrag für das lebensgroße Portrait seiner Frau erhielt.

Scheinbar lässig ruht die Königin auf einem Sessel, sie hat den  Arm aufgestützt, der Kopf ist leicht geneigt. Sie trägt ein kostbares Diadem, darüber einen Satz Paradiesfedern. Aber trotz dieser scheinbar entspannten Szene ist es eine sehr repräsentative Darstellung. Das zeigt sich schon an dem kostbaren Kleid, an dem Schmuck, den sie trägt und dem wallenden Hintergrund. Julie von Egloffstein verstand es offensichtlich, repräsentative und dennoch ‚privat‘ wirkende Portraits zu malen. Das war sicher schon ein Qualitätsmerkmal von ihr.

Damit endet dieser Brief – drei Frauen mit unterschiedlichem gesellschaftlichem Hintergrund haben als Künstlerinnen gelebt und gearbeitet. Alle drei blieben unverheiratet, sie mussten sich gegen gesellschaftliche Klischees durchsetzen und sich einen Platz bei den Kollegen aber auch  bei einer potentiellen Kundschaft erobern.

Im fünfzehnten und letzten Brief gehe ich noch einmal allgemein auf die Situation in Italien und vor allem in Rom ein, dabei werde ich auch versuchen, eine Begründung dafür zu liefern, warum die Kunst der deutschen Künstlerinnen und Künstler dieser Zeit bei uns so in Vergessenheit geraten ist.

Bis dahin ….herzlich Rainer Grimm .