Dr. Rainer Grimm
01.01.2022
Seit dem letzten Brief, in dem es ja vor allem um die beiden Hannoveraner August Kestner und Heinrich Kümmel ging, ist schon mehr als ein halbes Jahr vergangen. Ich hoffe, dass Sie einen guten Sommer hatten und vor allem gesund geblieben sind. Ich habe mich in den letzten Monaten um meine eigene Kunst gekümmert und eine Reise nach Italien unternommen. Nun ist es etwas ruhiger geworden, und so kann ich wieder einen neuen ‚Brief‘ schreiben. Sehr erfreulich ist, dass die DIK Hannover meine gesammelten ‚Briefe‘ in neu redigierter Form im nächsten Jahr anlässlich des 75jährigen Bestehens als kleines Buch herausgeben will.
Vielleicht ist Ihnen schon aufgefallen, dass ich den Titel dieser ‚Briefe‘ verändert habe – nun werden Künstlerinnen extra darin erwähnt. Das liegt einfach daran, dass ich, als ich mit dieser Briefreihe begonnen hatte, bis auf Angelika Kauffmann keine anderen Künstlerinnen kannte. Es ist leider so, dass Künstlerinnen wesentlich größere Schwierigkeiten hatten, sich einen Namen zu machen als ihre männlichen Kollegen. So sind aus dem 19. Jahrhundert in der Tat nur wenige Künstlerinnen bekanntgeworden. Im Verlauf des letzten Jahres habe ich mich nun intensiver in diesen Bereich eingearbeitet, und so entdeckte ich Künstlerinnen, die sehr qualitätvoll gearbeitet haben und zu Unrecht fast vollständig vergessen worden sind. Und da will ich in diesem Brief auch gleich zwei davon vorstellen. Die beiden sind Marie Ellenrieder (1791 – 1863) und Katharina von Predl (1790 – 1871) Die beiden sind für diese Betrachtungen insofern sehr interessant, weil sie zwar Freundinnen waren und zeitweise sogar zusammengelebt haben aber in ihrer Kunst doch völlig unterschiedliche Ziele verfolgten.
Marie Ellenrieder stammte aus Konstanz. Sie bekam schon recht früh Zeichenunterricht bei einem ‚Miniaturmaler‘ und arbeitete die ersten Jahre tatsächlich in diesem Gewerbe. Wichtige Leute wurden auf ihr Talent aufmerksam, und der Bistumsverweser Ignaz Freiherr von Wessenburg nahm sich ihrer an. Er war mit dem Direktor Langer der Kunstakademie in München befreundet und setzte sich dafür ein, dass sie an der Akademie studieren durfte. [F.W. Fischer: Marie Ellenrieder; Konstanz 1963 S. 14]
In der Autobiographie von Louise Seidler – sie werde ich im nächsten Brief genauer vorstellen – gibt diese allerdings eine andere Erklärung dafür, warum Marie in München studieren durfte. Sie schrieb, dass Langer sie trotz ihrer offensichtlichen Begabung nicht aufnehmen wollte, , da „das Studiren auf der Kunstakademie Frauen nicht gestattet war (…) bis ihre Thränen, unter denen sie ihm vorstellte, wie ihre Taubheit sie zu jedem anderen Berufe unfähig mache, endliche sein Herz erweichten.“ [Goethes Malerin Die Erinnerungen der Louise Seidler; Berlin 2003 S. 131] Danach war es also eher Mitleid, das den Direktor dazu bewogen haben soll, sie an der Akademie studieren zu lassen.
In jedem Fall aber war die Aufnahme der jungen Frau ein Präzedenzfall – weil nun schon einmal eine Frau angenommen worden war, konnten danach auch andere Frauen dort studieren. Das war unter anderem dann auch der Fall bei Katharina von Predl.
Allerdings gab es doch eine Reihe von Beschränkungen für die jungen Frauen – sie durften beispielweise nicht am Aktzeichnen teilnehmen. Das wurde in Besprechungen ihrer Bilder dann später auch immer wieder betont, dass ihnen eben die genaue Zeichnung des menschlichen Körpers nicht gelinge, da sie ja keine richtige Ausbildung genossen hatten. Überhaupt wurde Frauen unterstellt, dass sie zwar häufig gute Portraits malen könnten aber zu ‚wirklicher Kunst‘ nicht in der Lage seien. So gab es im 19. Jahrhundert noch eine Rangordnung der Künste nach den Inhalten, etwas, was wir uns heute überhaupt nicht mehr vorstellen können. So waren am bedeutendsten Bilder, die herausragende Ereignisse aus der Geschichte zeigten. Das Portrait galt dagegen als etwas eher Minderwertiges. Da wurde ja nur etwas abgezeichnet oder gemalt – die wirkliche Kunst sollte weit über das bloße Abbilden hinausgehen.
Wie gut die junge Frau aber malen konnte, das kann man schon an dem Selbstbildnis sehen, das sie 1819 im Alter von gerade einmal 28 Jahren gemalt hat.Für ein Selbstportrait ist es schon erstaunlich, dass sich die Künstlerin hier im Profil gemalt hat – sie muss dabei mit zwei Spiegeln gearbeitet haben. Die junge Frau schaut sehr konzentriert und ernst in den sicher vor ihr stehenden Spiegel. Dabei hat es allerdings den Anschein, als ob sie auf die Leinwand blickt, auf die sie gerade malt.
Den Hintergrund hat sie überwiegend schwarz gemalt, dadurch leuchtet das Gesicht ganz besonders. Mit der rechten Hand hält sie einen Pinsel, mit der linken die Palette und einige weitere Pinsel.
Die junge Frau trägt ein schwarzes Kleid, das oben mit weißer Spitze abgeschlossen wird. Schaut man sich an, wie sie die Spitze durch kleine weiße, sicher gesetzte Einsprengsel gemalt hat, dann kann man allein schon daran erkennen, um was für eine herausragende Technik die junge Künstlerin verfügte. Alles ist sehr sorgfältig und gekonnt ausgeführt – Marie Ellenrieder ist schon in jungen Jahren eine sichere und außergewöhnlich gute Künstlerin.
Von 1822 bis 1824 hielt sich die Künstlerin für zweieinhalb Jahre erstmals in Rom auf. Ihre Freundin Katharina von Predl war schon dort, mit ihr lebte sie dann zusammen in der Nähe der Piazza di Spagna. Ihr Biograph Friedrich Wilhelm Fischer wählt als Überschrift für die Zeit in der ewigen Stadt: ‚Die erste Krise‘ – und tatsächlich kann Marie Ellenrieder die Zusammenkünfte mit den Künstlerkollegen, die vielen Kunstschätze und überhaupt das ganze Leben in der Stadt kaum genießen. Sie hat offensichtlich das Gefühl, dass ihre Kunst nicht dem Anspruch genügt, den sie an sich selbst hat. In einem Brief an ihren Gönner von Wessenberg schreibt sie: „ Glücklich legte ich meinen Weg zurück, aber unwürdig betrete ich nun jede Stelle, die mich umgibt.“ [F.W. Fischer a.a.O. S. 27] Sie ist auf der Suche nach einer wahren Kunst – und so fühlt sie sich von Anfang an zu den Nazarenern hingezogen. „Wie über eine göttliche Offenbarung spricht sie von der neunen Kunst: ‚Villa Massimi ausgemalt von Overbeck, Veit und Schnorr! Hier erbaut das rühmlichste Streben die Seelen zu großen erhabenen Gedanken, zu Gedanken, die keine Sinnlichkeit kennen, zu Empfindungen, die, mit der Gottheit vertraut, das Beste, das Höchste lieben und ergreifen wollen.“ [F.W. Fischer a.a.O. S. 29]
Sie will ebenso asketisch leben wie diese Künstler – obwohl die zu dieser Zeit schon das Klosterleben in San Isidoro aufgegeben hatten. Aber die Haltung der ‚edlen Teutschen‘, wie sie sie nennt, war für sie so prägend, dass sie ihr ganzes Kunststreben danach ausrichtete. In der Folge sah sie ihre Aufgabe darin, eine reine geistliche Kunst zu schaffen. Für uns ist das sicher heute schwer nachzuvollziehen – aber diese Haltung war damals avantgardistisch. Traurig war, dass die Künstlerin sich trotz ihres großen Talents von den männlichen Künstlern nicht ernst genommen fühlte.
Das Leben in Rom konnte sie aber auch nicht wirklich genießen – durch ihre zunehmende Taubheit gelang es ihr nicht, Kontakt zu Italienern aufzunehmen. Die sprachen ihr einfach viel zu schnell. Aber sie traf sich mit August Kestner, er zeigte ihr Orte, zu denen sie ohne seine Bekanntschaft nicht gekommen wäre. Wie sehr sie ihn schätzte, wird aus verschiedenen Briefstellen deutlich. Als sie sich von ihm verabschiedete, um nach Florenz zu gehen und sich dort weiter fortzubilden, küsste sie seine Hand und hob sie dann an ihre Stirn. [Marie Jorns: August Kestner und seine Zeit, Hannover o.J. S. 156]
Die Maria mit dem Jesuskind von 1824 scheint mir typisch dafür zu sein, wie Marie Ellenrieder in der Zeit in Rom arbeitete. Ganz offensichtlich hat sie sich bei dem Bild an der ‚Sixtinischen Madonna‘ von Raffael orientiert. Für sie – aber natürlich auch für viele andere Künstler dieser Zeit – war Raffael eines der ganz großen Vorbilder.
Die beiden Figuren sind vor einen Goldhintergrund gemalt. Aber anders als etwa in mittelalterlichen Bildern ist das Gold richtig ‚gemalt‘. An den beiden Seiten ist es abschattiert, sodass eine räumliche Wirkung entsteht. Stufen auf dem Boden verschwimmen nach hinten ins Gold. Nach vorn, also zum Betrachter hin, sind die Stufen angeschnitten. So entsteht der Eindruck, als ob die Stufen in unseren Bereich hineinragen. Von beiden Seiten rahmt ein dunkler Vorhang sie ein – auch das ist ein Verweis auf Raffael.
Maria setzt gemessen einen Fuß vor den anderen, während der Kleine fast hinunter zu hüpfen scheint. Sie trägt ganz traditionell ein rotes Kleid, darüber einen dunkelblauen Umgang. Der kleine Jesus irritiert allerdings – weil die Künstlerin ihn nicht als Baby sondern als Kleinkind, das schon gehen kann, zeigen wollte, musste sie ihn anziehen. Dafür hat sie nun so etwas wie ein Kleid gewählt, und dadurch sieht das Kind dann doch sehr mädchenhaft aus. Es passt einfach nicht so recht zusammen.
Marie Ellenrieder zitiert auf der einen Seite also Raffael, auf der anderen Seite weicht sie aber von ihm ab. Die Madonna bei Raffael geht durch die Wolken zu den Gläubigen, sie ist nahe aber auch entfernt. Dagegen gehört die Madonna bei Marie Ellenrieder schon in die Welt der Gläubigen, sie steigt eine Treppe hinab.
Ich denke, dass man schon an diesem Bild das Dilemma erkennen kann, in dem sich die junge Künstlerin – aber auch viele zeitgenössische Künstler der Nazarener befanden. Einerseits sollte die Kunst eine spirituelle Dimension haben – Marie Ellenrieder hat sicher nicht umsonst einen Goldhintergrund gewählt. Andererseits sollten die Heiligen aber auch den Gläubigen als wirkliche Menschen erscheinen, sie kommen aus dem Himmel eben über eine Treppe zu uns. Das Jesuskind sollte uns segnen – dazu musste es aber schon ein gewisses Alter haben und daher angezogen sein. Das alles einleuchtend zusammenzubringen, das erscheint mir unmöglich.
Marie Ellenrieder sah in Rom also vor allem die spirituelle Dimension. Sie wollte eine neue geistliche Kunst schaffen und da sie diese große Aufgabe aus ihrer Sicht nicht so schaffte, wie sie es sich vorstellte, verzweifelte sie oft.
Ein zweites Mal war Marie Ellenrieder in der Zeit zwischen 1838 und 1840 in Italien. Dieser zweite Aufenthalt war für sie aber eine große Enttäuschung. Die Kunst der Nazarener hatte ihren Höhepunkt schon lange überschritten. „Vom Geist jener frühen Zeit war nur bei einzelnen Wenigen noch etwas übriggeblieben, und diese lebten meist streng zurückgezogen. Overbeck war noch hier, aber man sah ihn kaum! Josef Anton Koch starb wenige Tage nach Mariens Eintreffen in Rom, Thorwaldsen hatte sich völlig abgeschirmt; Johannes Veit und Seitz vermochten der Künstlerin kaum mehr als Erinnerungen zu bieten.“ [F.W. Fischer a.a.O. S.54]
In ihr Tagebuch schrieb sie: „ Auf dieser Reise, von welcher ich mir für meinen Geist eine ungewöhnliche Wirksamkeit versprach, geschah zu meiner größten Plage gerade das Gegenteil.“ [F.W. Fischer a. a. O. S.54] Sie verfiel in einen Zustand nervöser Erschöpfung und zog sich immer mehr zurück. Mystische Frömmigkeit bestimmte fortan ihr Leben.
Mittlerweile war sie mit einem festen Gehalt zur Hofmalerin erhoben, dadurch war sie zwar wirtschaftlich abgesichert. Aber Marie Ellenrieder muss eine unglückliche Frau gewesen sein. Sie war häufig krank und hatte starke psychische Probleme. In ihren letzten Lebensjahren verließ sie Konstanz nicht mehr, sie starb 1863 mit zweiundsiebzig Jahren.
Ganz anders ist das mit Katharina von Predl, geboren ist sie 1790, sie ist also ein Jahr älter als Marie Ellenrieder. Sie stammte aus einer kunstbeflissenen Familie – ihr Vater hatte vor seinem Jurastudium zunächst auch Kunst studiert. Er förderte seine Tochter schon in ihrer Kindheit. Mit zehn Jahren kam sie in ein Pensionat in München, wo sie u.a. auch Französisch und Italienisch lernte, das war für sie in ihrem Leben sehr wichtig. Schließlich lebte sie in späteren Jahren überwiegend in Frankreich und Italien.
Nach dem Pensionat besuchte sie ein Damenstift für adlige Mädchen – sie fiel schon dort mit ihrer Zeichenfertigkeit auf, sodass ihr die Schulleitung am Ende ihrer Schulzeit – da war sie erst siebzehn Jahre alt – die Stelle einer Zeichenlehrerin anbot. 1816 wurde sie für das Studium an der Münchner Kunstakademie zugelassen. Da Marie Ellenriede ja schon vor ihr mit dem Studium dort begonnen hatte, gab es einen Präzedenzfall, so durfte auch sie dort studieren.
Das Selbstportrait stammt von 1824. Da war Katharina von Predl bereits seit drei Jahren in Rom. In der Biographie von Edwin Fecker steht zu diesem Bild: „Selbstportrait in natürlicher Größe. Pastell“ [Edwin Fecker: Katharina von Predl; verheiratete Grassis de Predl 1790 – 1871 ; 79689 Maulburg] Die Künstlerin schaut sich in einem Spiegel an. Dazu hat sie ihren Kopf gedreht, man sieht also noch einen Teil der unbedeckten Schulter und ihren Hals. Ihre dunklen Haare sind teilweise hochgesteckt, einige Strähnen fallen lockig herab. Das Gesicht ist fast vollständig von vorn wiedergegeben, ihre mandelförmigen Augen schauen versunken aus dem Bild heraus. Der Mund ist schön geschwungen.
Den Hintergrund hat die Künstlerin geschickt unterschiedlich in verschiedenen Helligkeitsstufen gehalten. Neben dem hellen Gesicht ist er dunkler, während er neben dem dunklen Haar heller gewischt ist. Daran kann man sehen, wie überlegt sie bei ihrer Arbeit vorging.
In jedem Fall kann man sagen, dass es sich bei ihr um eine schöne junge Frau handelt.
Als sie 1821 nach Italien ging, erhielt sie vom bayrischen König eine ‚Pension von 400 Gulden‘, damit sie Reise und Aufenthalt in Rom finanzieren konnte. Um Kontakt zu den in Rom ansässigen Künstlern zu bekommen, bekam sie dazu auch ein Empfehlungsschreiben von Peter von Cornelius an Friedrich Overbeck, dem Haupt der Lukasbrüder oder Nazarener. Obwohl sie also dieses Empfehlungsschreiben an Overbeck hatte und obwohl sie ab 1822 mit Marie Ellenrieder zusammen wohnte, die sich ja diesem Kreis sofort anschloss, trat Katharina von Predl mit den Nazarenern kaum in Verbindung. Vielmehr nahm sie Unterricht bei dem Präsidenten der Accademia di San Luca Vincenzo Camuccini (1771 – 1841). Und dieser Künstler war ein bedeutender Vertreter des Klassizismus. Man sieht schon daran, dass sie, anders als Marie Ellenrieder einen ganz anderen Zugang zur Kunst hatte. Stand für diese die Religiosität im Vordergrund, war es für Katharina von Predl sicher eher die Kunst – vielleicht waren es auch schlicht wirtschaftliche Aspekte, die sie zum Malen bewegten..
Sie malte zwar auch viele religiöse Bilder – aber ich denke, dass sie das hauptsächlich machte, um Geld zu verdienen. Nach den ersten vierhundert Gulden, die sie für Reise und Aufenthalt in Rom bekommen hatte, erhielt sie auf ihre dringlichen Bitten hin noch zwei Mal je vierhundert Gulden – danach wurde ihr vom Hof in München kein weiteres Geld bewilligt.
Die Künstlerin musste also sehen, dass sie auf andere Weise ihren Unterhalt verdienen konnte. Das führte dazu, dass sie viele Portraitaufträge annahm. Aber natürlich malte sie auch religiöse Bilder. Aber sie war insofern eine ganz ‚moderne‘ Malerin, weil sie neben den Aufträgen auch für einen freien Markt arbeitete. Sie musste daher viel reisen, um ihre Arbeiten in unterschiedlichen Städten zu präsentieren. Unter anderem nahm sie in London an einer Ausstellung an der Royal Academy of Arts teil. Danach zeigte sie ihre Arbeiten in Rotterdam, Köln, Frankfurt, München und Wien.
In Rom heiratete sie 1828 Louis François Grassis – ohne ihn vorher gekannt zu haben. Sie zog mit ihm nach Sizilien, wo er als Verwalter auf einem Landgut arbeitete. Ihr Sohn Charles wurde am 5. April 1829 geboren, er starb schon am 30. Januar 1830. Danach folgte am 1. August 1831 die Geburt ihrer Tochter Mathilde.
Weil ihr Mann das Klima nicht vertrug und schwer erkrankte, zog die Familie auf das Familiengut der Grassis nach Chambéry. Durch die Krankheit ihres Mannes musste Katharina allein für den Lebensunterhalt der Familie aufkommen. Neben verschiedenen Auftragsarbeiten bot sie u.a. für 24 Francs pro Monat auch ‚Zeichenunterricht für Damen und junge Leute‘ an. [Edwin Fecker a. a. O. S. 48]
1834 zog sie mit ihrem Mann nach Paris, weil er sich dort eher Heilung von seiner Krankheit versprach. Beim Pariser Salon 1835 stellte sie ihre Arbeiten aus.
1824 malte sie diese ‚Anbetung des Kindes‘. Sie befindet sich heute im Palazzo Reale in Turin.
In einem sehr dunklen Raum mit einem kleinen Fensterausblick in eine Landschaft befinden sich im Vordergrund Maria, das Jesuskund auf einem schneeweißen Laken und auf der rechten Seite zwei kniende Engel. Hinter diesen vorderen Figuren steht, kaum sichtbar, der bärtige Josef. Maria hebt mit der linken Hand ein Stück Stoff über dem Kind hoch. Sie und die Engel beugen sich herab. Alle sind auf das liegende Kind bezogen. Das zeigt sich ganz besonders in der Lichtführung. Alles in dem Raum wird nur durch Jesus erhellt. Von ihm geht das Licht aus. So werden die Engel und Maria nur durch ihn beleuchtet.
Das zweite Licht ist dann in dem Fensterausschnitt mit der Landschaft zu sehen – es soll sich dabei sicher um einen Sonnenaufgang handeln. So wie die Sonne das Leben auf der Erde erhellt, so erhellt Jesus das Leben der Gläubigen.
Natürlich handelt es sich hierbei auch um ein religiöses Bild – aber anders als bei Marie Ellenrieder ist es aus meiner Sicht weniger mit Gefühl aufgeladen. Das Bild ist sehr gut gemalt, alles stimmt – aber es ist eine eher intellektuelle Darstellung der ‚Anbetung‘. Darin zeigt sich, dass die Künstlerin eben nichts mit den Nazarenern gemein hatte.
1841 starb ihr Mann in Paris. Die Künstlerin musste für ihren Lebensunterhalt und den ihrer Tochter selbst aufkommen, und sie scheint das gut geschafft zu haben. „Katharina Grassis de Predl galt damals in Paris als gesuchte Portraitistin. Besonders häufig malte sie Kinderportraits, auf denen sie Blumenkörbe, Früchte, Schmetterlinge oder Vögel im Vordergrund drapierte.“ [Edwin Fecker a.a.O. S. 55] 1843 ging sie nach Rom zurück, wo ihre Tochter am 26. Juli in die Schule des französischen Damenordens vom Heiligen Herzen im Kloster SS. Trinità dei Monti aufgenommen wurde. Als die Tochter später ins Noviziat eintrat, bezog die Künstlerin ein kleines Häuschen mit Atelier im Garten des Klosters. 1871 starb sie im Alter von 81 Jahren. Sie ist auf dem Campo Santo Teutonico neben S. Peter in Rom begraben.
Um ihre Meisterschaft im Portraitieren zu dokumentieren, zeige ich zum Abschluss noch das Portrait, das sie 1853 von ihrem Bruder Franz Xaver von Predl gemalt hat.
Franz Xaver von Predl war fünf Jahre jünger als seine Schwester. Schon in jungen Jahren ging er zum Militär. Er wurde Offizier und später Platzkommandant von Donauwörth. Auf dem Portrait hat die Künstlerin ihn auch mit einer schicken Uniform und Orden an der Brust dargestellt. Franz Xaver von Predl war ganz offensichtlich stolz auf seine Karriere.
Künstlerisch gesehen, ist besonders die Verteilung der Hell-Dunkelwerte hervorzuheben. Die Stirn ist am hellsten gehalten, und die Uniform wird nach unten hin kontinuierlich dunkler, Auch der Hintergrund ist nicht einheitlich gemalt – helle Wolken scheinen den Mann zu umschweben. All das zeigt, wie kunstvoll überlegt Katharina von Predl auch hier gearbeitet hat. Sie hat sicher nicht umsonst einen so guten Ruf als Portraitistin gehabt.
Beide Künstlerinnen, Marie Ellenrieder und Katharina von Predl haben in ihrer Zeit herausragende Kunstwerke geschaffen. Sie haben einen wichtigen Platz in der Kunstgeschichte verdient.
Im nächsten Brief geht es um zwei andere Künstlerinnen…
…. bis dahin…. einen guten Jahresanfang 2022 Rainer Grimm