Reisezeit, Reiselust, Reiseland Italien!

Gedanken zur Sommer- und Reisezeit von Chiara Santucci Ganzert

REISELAND ITALIEN: EINE DEUTSCHE PERSPEKTIVE

„Ich verstehe die Italiener nicht, und sie verstehen mich nicht.“

Dieses lapidare Zitat von Martin Luther [Bild] ruft uns in Erinnerung, dass Italien in den vergangenen Jahrhunderten kein Touristenland im heutigen Sinne war, sondern vielmehr ein Reiseziel und Referenzpunkt im weitesten Sinne des Wortes.
Der Protest(ant)marsch Luthers, der zu Fuß die Alpen überquerte und bekanntermaßen nicht wegen der schönen Brunnen nach Rom ging, zeigt am besten, wie unterschiedlich die Gründe für eine solche Reise sein konnten. Und Luthers Äußerung über die Verständnisschwierigkeiten macht nicht weniger deutlich, wie verschieden die Reaktionen auf die jeweiligen „Italien-Erfahrungen “ und der Umgang mit den Landsleuten sein konnten und z. T. noch heute sind. Es ist bekannt, dass es kaum einen deutschen Literaten, Dichter oder Künstler gab und gibt, der Italien bereist hat, ohne seine Wahrnehmung und empfundenen Gefühle schriftlich festzuhalten. Die Resonanz ist derart divergent, dass sie von der totalen Begeisterung bis zur kompletten Ablehnung reicht. Hier möchte ich auf einige dieser Zeugnisse eingehen und einen kleinen Bogen spannen: Mögen diese Kommentare noch so unterschiedlich sein, eine Konstante lässt sich von Luther bis zu den zeitgenössischen Schriftstellern erkennen, nämlich dass Italien in den Gemütern seiner deutschen Reisenden alles Mögliche erweckt(e) – außer Indifferenz.

Wie kontrastreich dieses Land und seine Bewohner sind, hatte schon Albrecht Dürer [Bild] erkannt, der von „viel[en] ärtige[en] Geselln under den Walschen“ sprach, die einem das Herz sanft stimmten. Jedoch „untreue, verlogen, tiebisch Pöswichte“ waren auch anzutreffen, die Dürer in Panik versetzten, weil sie seine Bilder kopieren wollten. Plagiate waren offenbar schon damals ein Problem …Trotzdem konnte sich Dürer nur schweren Herzens von „Fenedig“ und ihrer „Sunne“ trennen, um mit dem nächsten „Poten“ nach Nürnberg zurückzufahren.

Kurz danach bewunderte J. W. Neumayr von Ramssla nicht nur „Clöster, Kirchen und herrliche Palatia“, die er in seiner „Reise durch Welschland“ sah, sondern auch die Effizienz und Schnelligkeit, mit denen man sich mit Gondeln auf der Brenta [Bild] und ihren Kanälen „von einem Ort zum andren gschwind kommt.“ Angesichts der chronischen Staus, die sich auf der Autobahn Mailand-Venedig bilden, wäre man vermutlich noch heute mit einer Gondel schneller am Ziel.

Gar nicht mit Sonne und Wasser, sondern voll unromantisch mit Staub verband dagegen ein anderer Schriftsteller wenige Jahre später die Lagunenstadt und ihre Umgebung: Christian Reuter, der mit großem Bedauern sein mitgebrachtes Stück Speck (man konnte schon damals nicht wissen, was man in Italien serviert bekommt!) gedeckt von einem „Haufen Staub und Sand“ aus seinem Kober rausholte, denn – so Reuter weiter – „um Venedig herum [sind] nichts anderes als …sandichte Berge.“

Völlig zwiespältig äußerte sich Johann Caspar Goethe [Bild], in einem und demselben Brief vom Februar 1740 in Venedig, der Stadt, die nicht nur wegen ihrer Kunst, sondern auch wegen ihres Hafens und der Nähe zu Deutschland, auch für deutsche Händler (Fondaco dei Tedeschi!) einen wichtigen Standort darstellte. Am Anfang seines Schreibens beklagt sich zwar Goethe sen., dass zur Karnevalszeit alles so „in Tollheit und Übertreibung ausartet“, dass er „starr vor Staunen und vor Erschrecken war“. Wir wissen zwar nicht, was für (angenehme?) Abenteuer er zwischen dem Beginn und dem Ende seines Schreibens erlebte, sicher ist nur, dass er am Ende seines Briefes zugibt, dass man „an jenem Jubel und Trubel mehr Geschmack findet, als an allem anderen.“ Ob da eine feucht-fröhliche Schreibpause dazwischen eingelegt wurde?

Nicht weniger Geschmack an „der wunderbaren Inselstadt“, aber vor allem an Rom fand sein Sohn Johann Wolfgang Goethe [Bild], der in seinen römischen Elegien nicht aufhören konnte, sich „froh“ zu bezeichnen. „O wie fühl ich in Rom mich so froh!“ schrieb er in einer Elegie, um in einer anderen froh UND begeistert zu sein: „Froh empfinde ich mich nun auf klassischem Boden begeistert.“ Auch in diesem Fall wissen wir, dass sich Goethe jr. zwar aufrichtig für „klassische Schönheit“ interessierte, in diesem Begriff waren jedoch die Frauen nicht ganz ausgeschlossen – im Gegenteil! Seine Aufmerksamkeit galt nicht nur der klassischen Vergangenheit Roms, sondern auch den römischen (quicklebendigen) Faustinas und Mignons.

Wer dagegen sein Augenmerk vor allem auf staubige Ruinen oder auf die religiös-politischen Umstände der Ewigen Stadt richtete und sich manche Eskapaden nicht leisten konnte, fand weniger Genuss an Rom. Der durch und durch protestantische Philosoph und Kleriker Johann Gottfried Herder konnte mit Italien insgesamt und ganz besonders mit Rom nichts anfangen: Die heute so geschätzte mediterrane Küche verursachte ihm Dauerverstopfung, das Klima Unbehagen, nach Treffen mit katholischen Kardinälen wurde er nachts von schrecklichen Alpträumen heimgesucht. Kein Wunder, dass er am Ende seines Aufenthaltes an seine Frau schrieb: “Hier ist alles nur ein Schauspiel. …Ich sehne mich nur noch herzlich über die Alpen.“ [Bild]

Sehr hart ins Gericht mit Rom geht auch Johann Gottfried Seume, der auf seinem Fußweg nach Syrakus schrieb: „Rom ist oft die Kloake der Menschheit gewesen, aber vielleicht nie mehr als jetzt. Es ist keine Ordnung, keine Justiz, keine Polizei.“ Immerhin zeigt Rom seit Jahrhunderten darin eine gewisse Kontinuität …
Sehr weit auseinander gehen auch die Berichte Goethes und Seumes aus Sizilien. Der Erste sah nur herrliche Tempel [Bild], sanfte Abhänge „mit Gärten und Weinbergen bedeckt.“
Angesichts der Armut, die auf Sizilien herrschte, fand dagegen Seume die Lage so „heillos“, dass er kämpferische Fantasien entwickelte und am liebsten „alle sizilische Barone und Äbte mit den Ministern an ihrer Spitze ohne Barmherzigkeit vor die Kartätsche“ gestellt hätte.

Wieder nur Begeisterung prägt den italienischen Teil der Reisebilder von Heinrich Heine. 1824 hatte er Goethe in Weimar besucht und sich wahrscheinlich von der gefährlichen goetheschen „Italienkrankheit“ anstecken lassen, sodass auch er – ähnlich wie Goethe – in seinen Berichten wie „gelöst“ wirkt und sich unter dem „Lächel-Himmel“ Italiens, wo der Winter „grün angestrichen“ ist, besonders wohl zu fühlen schien. Lag es an den großen, saftigen Feigen, die man „in der geliebten [deutschen] Heimat nur als Ohrfeige[n] kennt“? Oder, auch in diesem Fall, an der „angenehmen Gesellschaft“ der Frauen, mit denen er in Lucca verabredet war? In dieser Stadt befand sich Heine in eine „verwunschene Atmosphäre“ versetzt, wo sogar am Karfreitag das Leben „sein Vermählungsfest mit dem Tod feiert und Schönheit und Jugend in einer Gegend eingeladen hat“, wo „die goldnen Orangen [Bild] wie Sterne des Tages, aus dem dunklen Grün hervorleuchten.“
Weniger schwärmerisch und doch recht charmant hört sich der Bericht von Theodor Fontane an, der nur wenige Jahre später – inzwischen hatte sich aber die italienische Einheit vollzogen und die Ausländer sahen überall Briganten – seine Fahrt nach Paestum beschreibt. In einer wackeligen Kutsche sitzend und eskortiert von Ulanen, die, anstatt die Reisegesellschaft (eben Fontane, seine Frau und eine Freundin) zu schützen, mit den Frauenzimmern so kokettierten, dass der einen Dame sogar der Satz entfuhr: „Wenn er (=der eine Ulan) von Briganten in die Berge geschleppt wird, will ich unbedingt mitgeschleppt werden!“

Offenbar auch in den deutschen weiblichen Reisenden vermischte sich das Interesse an Tempeln mit dem an einem „richtige[n] Süditaliener, schwarz und pfiffig“, wie diese Ulanen eben waren. Eine solche Reise dürfte also Herrn Fontane nicht nur wegen des gefährlich schwankenden Gespanns und der staubigen Wege strapaziös geworden sein… Er hält sich aber mit persönlichen Kommentaren vornehm zurück und konzentriert sich auf die Beschreibung der Eindrücke, die schon das Ankommen in Paestum auslöste: „Ankunft. Szenerie. Die drei Tempel [Bild]. Spaziergang. Schlangen unterm Stein. Gebüsch, Gestrüpp. Auf und ab. Italienischer Wein. Und plaudernd, saßen wir in dem 2000jährigen Tempel und sahen auf das noch ältere Meer.“

Der Anblick eines anderen, nördlicheren Meeres (des Mar Ligure) ging an Hermann Hesse „wie ein Traum vorbei“, saß aber „fest in [seinem] Gedächtnis als großartiger, andächtiger Eindruck.“ Das 20. Jahrhundert hatte gerade begonnen, als Hesse 1901 in Genua [Bild] „das erste echt italienische Bild“ genoss und so beeindruckt von Italien war, dass er schrieb:
„Angesichts dieser Kultur und dieses Lebens sinkt mein Nationalgefühl auf Null.“ Ob er sich heute, in der Ära der chronischen Finanzkrise, wieder so ausdrücken würde, ist mehr als fraglich. Wollen wir aber hoffen, dass wenigstens die „Sonne, [die] helle[n] weiße[n] Häuser, [die] Kirchen, … [das] bunt gekleidete Volk und das blaugrüne, herrlich schillernde Meer“, die er sah, ihn noch heute faszinieren würden.

Aber wie kann man vom italienischen Meer sprechen, ohne am Golf von Neapel vorbeizukommen, wo Rainer Maria Rilke in seinem Capri [Bild] gewidmeten Gedicht „den Pfauengeschrei und den vom zikadendurchgeigten Schlaf“ besang. Inzwischen ist aber Capri so überlaufen, dass, selbst wenn die Pfauen noch schrieen, würden sie von dem wesentlich lauteren Geklapper der Holzsandalen der „Eintagstouristen“ übertönt.

Bekanntermaßen nimmt das Meer einen wichtigen Platz auch in vielen Werken Thomas Manns ein, so dass er zwar Rom den „Ort meiner Wahl“ bezeichnete, doch das Meer der „Zwillingsschwester Lübecks“ (=Venedig) bildet die schwermütige Kulisse in seiner Novelle „Tod in Venedig“.

Das Wasser, die Kanäle verbreiten in seinem z. T. autobiographischen Werk eine melancholische, morbide Atmosphäre, der man entnehmen kann, dass „die besondere Stille der Wasserstadt“ eher düstere Gedanken in ihm inspirierte und dass er dort nicht nur heitere Stunden verbrachte. Schon bei der Ankunft in Venedig musste Herr Aschenbach, der Protagonist des Romans, mit der „Beklommenheit“ kämpfen, um eine Gondel zu besteigen, denn diese erinnere „an Bahre und düsteres Begräbnis, an den Tod selbst.“ Hätte es schon damals das Kinofestival auf dem Lido di Venezia gegeben, bei dem jedes Jahr die Verrücktheiten der Kinostars zu sehen sind, hätte sogar Thomas Mann etwas zum Lachen gehabt.

Zwar bemerkte auch Ernst Bloch wenig später, dass in Venedig „der Schein der città morta“ der Realität entspricht, „denn die Schönheit hat sich hier am Rande des Todes angesiedelt“, doch empfiehlt Bloch eine Reise nach Italien als medizinische Therapie. Hinter den Alpen trifft man nämlich sofort auf „veränderte Speise, Ölbaum, porösen Fruchtsaft des Weins“. Ergo: einen porösen Valpolicella trinken und schon ist man wieder fit! Allerdings die von Bloch empfohlene Therapie sieht auch die Besichtigung italienischer Städte vor, wo das Wechselbad der Gefühle sicher ist, denn – so Bloch weiter – schon „in einer Seitengasse Veronas sind arabische Mauern und die sarazenische Altstadt Baris zu finden.“

Und mit der Anspielung auf Bari kommen wir in einer Region an, Apulien, die erst vor kurzem vom Tourismus entdeckt wurde, jedoch schon seit Jahrhunderten zu deutsch-italienischer Geschichte gehört. Heinz Piontek hat die Gegend um das Kastell mit einem „feurig gedeckten Tisch“ verglichen, wo „die Sonne einen durchgehend liebt“. Aber aufpassen, Sonnenstich ist nicht ausgeschlossen!

Castel del Monte ist zwar zum Symbol der schwäbischen Vergangenheit Apuliens geworden, ist jedoch nicht ihr einziges Zeugnis, denn unweit davon befindet sich das nicht ganz so berühmte, aber nicht weniger interessante Castello Svevo in Trani, das mit großer Wahrscheinlichkeit ebenfalls von Friedrich II entworfen wurde [Bild]. Und sogar der Schriftsteller Ingo Schulze, bekannt für seine relativ spröde Prosa, war von dieser Landschaft so angetan, dass er nicht aufhören konnte, „den Blick der zweihundertjährigen Olivenhaine zu genießen, der roten Erde ringsum, [des Panoramas] hinüber nach Monte S. Angelo, dessen ferne Lichte an flackernde Kerzen erinnern.“

Schlösser, Tempel, Kirchen, Ruinen, kurz: Geschichte trifft man in Italien, wo sich die weltweit größte Anzahl von Kulturstätten unter dem Schutz der UNESCO befindet, zwar ad ogni passo (= auf Schritt und Tritt). Jedoch ist die Nacht – wie Martin Mosebach in seiner italienischen Reise bemerkt – die besondere Zeit der Geschichte – und zwar vor allem auf den Plätzen, „wo nachts die mächtigen Wände mit stummer Gewalt einen Schritt nach vorne treten. Der Platz wird … zu einem großen Zimmer, zu einem Saal in einem Palast, der die Stadt ist. … Wer aus einer Kathedrale auf den Platz tritt, verlässt kein Gebäude, er begibt sich in einen andersartigen Raum. Die [italienische] Stadt ist das größte Gebäude der Republik, die sie bildet, der Platz das wichtigste Verfassungsorgan dieser Republik. Und nachts werden diese Plätze zu magischen Räumen.“

Und so wie die Nacht die Vergangenheit Italiens auf seinen Plätzen evoziert, so stehen die italienischen Hauptstraßen am frühen Abend für das Leben, für die Vita, und zwar für die berühmte dolce vita. Sind diese Flaniermeilen um die Mittagszeit der Sonne und den Katzen überlassen, so verwandeln sie sich vollständig, wie Hanns–Joseph Ortheil feststellt, nach der obligatorischen siesta. So hat Ortheil die frühabendliche passeggiata in einer italienischen Stadt erlebt:

“Ein Kreisen und Flanieren von kleinen, sich unentwegt unterhaltenden Gruppen, die alle paar Meter haltmachen. Aus allen Seitenstraßen strömen sie wie dichte, kreischende Vogelschwärme herbei, es ist wie eine plötzliche Überschwemmung, die breite Hauptstraße reicht längst nicht mehr aus, die Scharen drängen in die erleuchteten Cafés, um sich Getränke und Nahrung zu verschaffen, etwas zum Picken oder zum Kosten, eine kleine und nur vorläufige Brücke bis zur abendlichen cena.“

Und nach diesem prosaischen Zitat kann man nur noch buon appetito wünschen!

BUCHBESPRECHUNG „REISEZIEL ITALIEN“

Chiara Santucci Ganzert

Es ist bekannt, dass Italien seit Jahrhunderten als das Reiseziel par excellence gilt. Doch die Art und Weise der Annäherung an „das Land, wo die Zitronen blühen“, ist ebenfalls seit Jahrhunderten sehr unterschiedlich und höchst individuell. Mit diesem ‘Universum’ hat sich eine Tagung auseinandergesetzt, die das ‘Institut für Germanistik’ der Universität Kassel und die Università Cattolica del Sacro Cuore di Milano/Brescia (Dipartimento di Scienze linguistiche e Letterature straniere) im September 2013 veranstaltet haben. Die Ergebnisse des Symposiums liegen nun in einem vor kurzem erschienenen Tagungsband vor: „Reiseziel Italien – Moderne Konstruktionen kulturellen Wissens in Literatur – Sprache – Film“, herausgegeben von den Germanistinnen Alessandra Lombardi, Lucia Mor und Nicola Roßbach.

Schon der Untertitel macht deutlich, dass hierbei die Herangehensweise nicht eine herkömmliche ist, sondern, dass sich die Tagung vorgenommen hatte, „die Forschung zum deutschen Italienbild um neue, interdisziplinär geschärfte Blicke zu bereichern.“ (S. 7) und dieser innovative Ansatz hat durchaus zum Erfolg geführt: Indem sich die Autoren oft auf ein neues Terrain gewagt haben, ist ihnen auch gelungen, neue Perspektiven auf dieses eher abgedroschene Studienfeld zu eröffnen.
Es ist zwar an dieser Stelle nicht möglich, jeden Beitrag ausführlich zu besprechen, doch wir möchten – wenn auch stichwortartig – auf jeden einzelnen Aufsatz eingehen, um auf die Vielfalt der z. T. ganz neuen Aspekte aufmerksam zu machen, die im Band thematisiert werden.

Hat man z. B. jahrhundertelang die lyrischen Sätze und Ausdrucksweisen, die Italien schon immer inspiriert hat, akribisch studiert und interpretiert, so analysiert Miriam Ravetto eine ganz andere, ganz neue lexikalische Sparte, nämlich die viel pragmatischere Sprache der Touristenführung. Die Erhebungen, die Ravetto geführt hat, zeigen nicht nur die Ähnlichkeiten und Differenzen, die die italienische bzw. die deutsche Sprache der Tourismusbranche prägen, sondern sie machen auch etwas deutlich, was man bisher lediglich intuitiv schon gewusst hat, und zwar, dass die „Raumgebundenheit […] eine grundlegende […] Eigenschaft der Touristenführung ist, die […] die gesamten kommunikativen Erscheinungsformen durchzieht, die eine Stadtführung prägen.“ (S. 123-124) Man fragt sich bei diesem Beitrag allerdings, ob für die Darlegung dieser Ergebnisse eine so sperrige Ausdrucksweise und eine solche Häufung an Fremd- und Fachwörtern nötig gewesen wäre; schließlich wollte die Tagung die Aufmerksamkeit eines größeren Publikums auf das Thema Italien als Reiseziel wecken!

Wer sich ebenfalls für Sprachunterschiede interessiert und außerdem erfahren möchte, wie sich das engmaschige Familienleben der Italiener lexikalisch in Reiseprospekten niederschlägt, soll den Beitrag von Marella Magris lesen. Je nachdem an welches Publikum sich eine Werbung für Kreuzfahrten richtet, unterscheidet sich der Sprachtenor, wenn auch formal kaum merklich, doch grundlegend. Den italienischen Eltern, die bekanntermaßen „ihren Kindern das ganze Jahr über auf Schritt und Tritt folgen“ (S. 140) möchte man wenigstens auf einer Kreuzfahrt ‘Entlastung’ verschaffen. So verspricht z. B. die italienische Version einer Werbebroschüre einen für „Kinder […] extra […] angelegten Bereich des Restaurants“, wo sie „nach Herzenslust essen und spielen [können] – unter Aufsicht von [einem] engagierten Entertainment Team“ (S. 139). Die gleiche Broschüre versucht demgegenüber deutsche Eltern mit dem fast konträren Argument zu gewinnen, nämlich: „Gemeinsam (und damit ist der Nachwuchs gemeint) etwas zu unternehmen ist natürlich das Allerwichtigste.“ (S. 139)

Auch das italienische Reiseziel schlechthin, Venedig, wird in Zusammenhang mit seiner Biennale zur Fallstudie im Aufsatz von Doris Höhmann, die Zeitungsartikel unter die Lupe nimmt, die sich mit diesem Kunstevent beschäftigen und einiges an Widersprüchlichkeiten aufweisen. Wird einerseits die internationale Bedeutung der Ausstellung ständig betont („[Das] bedeutendste internationale Forum für zeitgenössische bildende Kunst“, S.163, „[Eine] der international bedeutendsten Kunstschauen“, S. 163, etc.), fragen sich Andere, ob der „nationale Blick in einer globalisierten Welt noch zeitgemäß“ (S.164) sei, ob „es hier [nicht] auch heute noch um nationale Identität und Repräsentanz“ (S. 163) gehe, ob die Bauten in den Giardini der Biennale nicht „Zeugnisse obsoleter nationaler Phantasien“ seien. Insofern resultieren aus den Recherchen nicht nur Ergebnisse im Hinblick auf die Sprachstrukturen, die in Zusammenhang mit der Biennale zum Einsatz kommen, sondern auch auf die „Themenschwerpunkte“ (S. 163) und die „inhaltlichen Bezüge“. (S. 163) Schade, dass auch dieser Beitrag unter der Last der vielen Fachtermini leidet, die den Genuss der Lektüre mindern.

Die Sprache des Kinos wird ebenfalls in einem Beitrag thematisiert, der einige Überraschungen bereit hält. Da kaum einer anzweifeln würde, dass die „Italienische Reise“ von J.W. Goethe ein z. T. sehr poetischer Reisebericht ist, wundert man sich, dass seine drei ‘Kinoübersetzungen’ („Goethe-Gedenkfilm“ von F. Wendhausen, D 1932; „Die Italienische Reise des J.W. von Goethe“ von W. Kohlert, DDR 1981 und „Goethes Italienische Reise“ von O. Jägersberg, D 1999) einen fast nur dokumentarisch-propagandistischen Charakter haben. Sie bleiben nämlich unmittelbar den politischen Einflüssen und Verhältnissen verpflichtet, unter denen sie jeweils gedreht wurden. „Kein Film zeigt wirkliches Interesse an Italien […] – insofern knüpfen [die Streifen] durchaus auch an Goethe an, der in Italien weniger über Land und Leute als über sich selbst lernte“ schließt Jana Piper ihren Beitrag (S.188-189). Ganz anders war dagegen die Italien-Einstellung des J.Caspar Goethe, der ebenfalls eine lange (jedoch fast unbekannt gebliebene) Reise durch Italien unternahm und dokumentierte, das Land aber mit völlig anderen Augen betrachtete, als sein Sohn Johann Wolfgang. Allein die Tatsache, dass J. Caspar seinen Bericht in der Landessprache, also auf Italienisch, verfasste, zeugt von der viel intensiveren Auseinandersetzung mit den südlichen Gefilden, „zu der auch die Kritik an den italienischen Verhältnissen gehörte.“ (S. 174)

Reiste man zu damaliger Zeit nach und durch Italien noch mit der Kutsche bzw. ging man zu Fuß (man denke hier an Seume!), revolutionierte das Automobil nicht nur die Verkehrsverhältnisse, sondern auch die Einstellung zu Italien. Die Möglichkeit, ohne allzu große ‘Risiken und Nebenwirkungen’ die Alpen zu überqueren, lässt den „Erholungswert“ (S. 26) einer Reise nach Italien steigen. Die akribischen Vorbereitungen, wodurch man sich früher ein manchmal profundes Wissen über das Land, seine Kunst und Kultur aneignete, standen somit nicht mehr im Vordergrund. Der berühmte Spruch „Et in Arcadia ego!“ wurde leicht ‘käuflich’, „Italien wird massen- und unterhaltungstauglich“ (S. 26), sodass am Schluss – wie Constanze Baum in ihrem Beitrag schreibt – „Nicht Italien, sondern das Automobil in der italienischen Landschaft […] zum dominanten Motiv avanciert.“ (S. 41)

Und so überquerten Anfang des vergangenen Jahrhunderts die ersten deutschen Autos den Brenner und rollten vorzugsweise Richtung Gardasee, „der für viele Deutsche den ersten Berührungspunkt mit dem Süden bildete“ (S. 51) und als Sehnsuchtsregion galt. Vielen der „abgehetzten und abgearbeiteten nordischen Menschen“ (S. 57) wurde „das Schönste der Welt“ (eben der Gardasee, S. 49) zur zweiten Heimat, sodass im Jahr 1900 dort sogar eine italienische Zeitung in deutscher Sprache gegründet wurde, für die sowohl deutsche als auch italienische Schriftsteller und Intellektuelle (kein Geringerer als Paul Heyse war unter den Autoren) schrieben: „Der Bote vom Gardasee“, der sich 14 Jahre lang größten Erfolges erfreuen konnte. Nur „der erste Weltkrieg [konnte] diese harmonische Begegnung der beiden Kulturen […] zerstören.“ (S. 65), wie Laura Bignotti in ihrem Aufsatz schreibt.

Ebenfalls Sehnsuchtsland war Italien für Sigmund Freud, der zwischen 1895 und 1900 mehrmals durch die Halbinsel reiste und alle ‘Pflichtstätten und -regionen’ besuchte, die für eine italienische Reise typisch waren: Venedig, Ravenna, Bologna, Florenz und die Toskana. „Umso erstaunlicher ist es“, schreibt Thomas Bremer in seinem Beitrag, „dass Freud erst im Herbst 1901 erstmals Rom besuchte, […] obwohl er von eine[r] neurotische[n] Rom-Sehnsucht“ (S. 76-77) geplagt war. Wie Bremer richtigerweise herausarbeitet, erklärt sich diese ‘Verschiebung’ mit der Sorge, sich als Jude in der Stadt, wo der Katholizismus seinen Hauptsitz hat, diskriminiert zu fühlen. Anscheinend überwand Freud diese Furcht aber schon nach der ersten Begegnung mit der Ewigen Stadt: „um 3h nach Bad umgekleidet u Römer geworden“ (S. 76) schrieb Freud – und reiste ab dann noch siebenmal nach Rom. Interessant in diesem Aufsatz ist die Gegenüberstellung der Motivation der freudschen Italienaufenthalte mit der Walter Benjamins, die Bremer im gleichen Beitrag macht. Nicht die Furcht vor dem Katholizismus, sondern das Interesse für die „soziale[n] Verhältnisse“ und die „Volksreligiosität“ (S. 81) prägte den Italienaufenthalt Benjamins, der sechs Monate auf Capri verbrachte, sich aber auch intensiv mit „der glühendsten Stadt, etwa außer Paris“, nämlich Neapel (S. 78), auseinandersetzte.

Es empfiehlt sich an dieser Stelle, die Lektüre mit dem Beitrag von Stefanie Kreuzer fortzusetzen, die sich mit einer weiteren Gegenüberstellung befasst, wenn auch auf der filmischen Ebene. Analysiert werden hier zwei Streifen von deutschen Regisseuren: „Palermo Shooting“ von Wim Wenders und „Heaven“ von Tom Tykwer. Interessanterweise kommt Kreuzer zu dem überraschenden Ergebnis, dass beide Filme – obwohl zeitgenössisch – sich viel eher in die ‘alte’ Tradition der Bildungsreisen einreihen. Flucht vom (deutschen) Alltag, Hoffnung auf seelische Erneuerung und Enttäuschung in der Liebe sind die Motive für den Ausbruch nach Italien, das dementsprechend als „traditionsreicher Topos“ (S. 226) benutzt wird. Insofern bleiben beide Werke – trotz aller modernster Spezialeffekte, die das Kino heute zu bieten hat – ganz und gar klischeehaft.

In der Tat scheinen „Der deutsche Autorenfilm und Italien“ (S. 213) überhaupt ein Problem miteinander zu haben, wie Matteo Galli in seinem Beitrag feststellt. Galli bedauert zu Recht, dass diese Sparte lediglich ein Stiefkind des kulturellen Wissens über Italien darstellt – es gehe – so seine Meinung – „(immer) noch darum, Daten zu erheben und Fakten zu sammeln“ (S. 215) und zeigt anhand weniger jedoch überzeugender Beispiele, wie in „deutschen Autorenfilm[en] keine Spur von Italien“ (S. 219) zu finden und wie in den letzten Jahren „Italien von der Bildfläche“ (S. 220) sogar verschwunden sei. Warum das so ist, sollte unbedingt ausführlicher analysiert und in die Liste der Forschungsdesiderate aufgenommen werden; vor allem wenn man sich die „erstaunliche Disproportion“ (S. 213) zwischen dem „Forschungsstand zum Italienbild/zur Italienreise in der deutschen Literatur“ und „der Bibliografie zum Thema Italien […] im deutschen Kino“ (S. 213) klarmacht.

Schließlich schreibt auch Stephanie Wodianka in ihrem Aufsatz, dass „neue Medien … [wie] Filme […] Wirklicheitswahrnehmung in Wissen“ (S. 193) transformieren und richtet ihre Aufmerksamkeit auf Sizilien, die Insel, die schon „bei Goethe nie Original und Urbild [war], sondern […] erinnerter Teil des kulturellen Bildgedächtnisses.“ (S. 195) Diese Einstellung – stellt die Beitragsverfasserin fest – hat sich seitdem letztlich nicht sehr viel verändert: Man überlege hierbei, wie sich Roberto Rossellini in seinem berühmten Film „Stromboli“ weniger von seinem neorealistischen Blick, als von der „Anti-Hollywood-Ästhetik“ (S. 209) leiten ließ, sodass Sizilien partout „für ‘unsere eigenen’ europäischen Werte und Wahrnehmungsästhetiken“ (S. 209) herhalten musste.
Bedauerlich ist nur, dass sich in einem so interessanten Beitrag so viele Fehler in die Italienisch-Zitate eingeschlichen haben; ein aufmerksameres Lektorat hätte nicht geschadet!

Fast genauso ‘prefabbricata’ wie der Blick auf Sizilien war die deutsche Italienvorstellung während des Faschismus. Zwischen den Jahren 1922-1943 spielte die Figur des Benito Mussolini eine zentrale Rolle in der (bewundernden) Wahrnehmung nicht nur des ‘Duce’, sondern auch Italiens überhaupt. Groß ist die deutsche „Pilgerschar“ (S. 93) gewesen, die nach einer Privataudienz bei Mussolini „ihre Eindrücke in Wort, Fotografie und Bild fest [hielt]“ (S. 93). In seinem Beitrag analysiert Jörn Münkner, wie eine „fotografische Dokumentation einen Wahrnehmungsrahmen“ (S. 95) konstruiert, wie in Berichten der „außergewöhnliche Charakter und [die] Ausstrahlungskraft [Mussolinis] beschworen“ (S. 97) werden, wie man „das […] durch Mussolini geschaffene ’neue Italien’ dem deutschen Leser nahe bringen wollte.“ (S. 98) Doch als im Sommer 1943 immer klarer wurde, dass Italien nicht mehr in der Lage gewesen wäre, den Krieg weiterzuführen, fühlten sich die Deutschen bekanntermaßen verraten und entsprechend schnell wendete sich das Blatt: In den Tagebüchern Goebbels’ kann man nämlich lesen: „Der Duce wird als der letzte Römer in die Geschichte eingehen, aber hinter seiner massigen Gestalt hat sich nur ein Volk von Zigeunern verdorben [sic!].“ (S. 89), mit dem Deutschland auf keinen Fall hätte ein Bündnis eingehen sollen.

Zusammengefasst lässt sich sagen: Wer sich für die Entstehung und die Entwicklung, aber auch für die Konflikte der Beziehungen zwischen Deutschland und Italien interessiert, wird in diesem Band nicht nur Antworten auf viele Fragen finden, sondern auch Anregungen, um sich intensiver bzw. von einer anderen Warte aus mit dem noch heute mehr als komplexen deutsch-italienischen Verhältnis auseinanderzusetzen.

A. Lombardi / L.Mor / N. Roßbach (Hrsg.):

Reiseziel Italien

Peter Lang Edition (Nov. 2014)
Pieterlen – Schweiz